Es lohnt sich, sich mit Glycosiden zu beschäftigen. Sie sind nicht nur Bestandteil des Chitinpanzers von Insekten oder wirken als Geschmacksverstärker - sie gehören schlicht zu den häufigsten Stoffen der belebten Natur. Und auch in der Kosmetik spielen sie eine herausragende Rolle. Würfelzucker besteht aus Saccharose (Rohrzucker), einer Verbindung von Fructose (Fruchtzucker) und Glucose (Traubenzucker). Die Verknüpfung zweier Zucker bezeichnet man als Glycosid. Oder in Fällen, in denen Glucose daran beteiligt ist, auch als Glucosid. Oligosaccharide - das sind Verbindungen einzelner Zucker untereinander (wie etwa beim Rohrzucker) - und Polysaccharide - eine Aneinanderreihung sehr vieler Zuckermoleküle - haben in der Natur vielfältige Aufgaben: Innerhalb der Zellen dienen wasserlösliche Oligosaccharide dem Energietransport: Sie werden eingelagert und in Stärke (Pflanzen) oder Glycogen (Tiere, Menschen) umgewandelt bzw. aus diesen Speichern wieder mobilisiert. Glycoside wie die Cellulose bilden die pflanzlichen Zellwände und Fasern, während sich Insekten und Schalentiere durch Chitin schützen. Hyaluronsäure, ein Mucopolysaccharid und glycosidischer Hauptbestandteil der extrazellulären Matrix, ist für die Druckbeständigkeit des Bindegewebes zuständig. Schleimbildende Glycoside ("Gum") wie das Xanthan der Xanthomonas-Bakterien, Guar (Guarbohne), Pektine (Früchte), Gummi Arabicum (arabischer Gummibaum), Acemannan (Aloe vera), Galactoarabinan (nordamerikanische Lärchen) und Alginate aus Algenextrakten sind weitere Beispiele für den Ideenreichtum der Natur.
Im Rahmen der Hautpflege macht man von Sacchariden als Filmbildner, Konsistenzmittel, Feuchthaltemittel und Faltenglätter reichlich Gebrauch. Hinzu kommen Teilhydrolysate (Spaltprodukte) und halbsynthetische Derivate der Stärke, der Cellulose, des Chitins und der Alginate, wie z. B. Hydroxypropylstärke, Dextrine, Hydroxyethylcellulose, Carboxymethylcellulose, Methylcellulose, Chitosan oder Alginsäurehydrolysate mit ähnlichen Funktionen. CM-Glucan ist ein carboxymethyliertes Polysaccharid der Hefe mit photoprotektiven Eigenschaften. Emulsionsstabilisatoren entstehen, wenn Stärke mit Phosphorsäure verestert wird. Chitosan, das Teilhydrolysat des Chitins, findet unter anderem als Haarkonditionierer Verwendung. Waschaktive Alkylpolyglycoside (APG), die in milden Reinigungspräparaten enthalten sind, gehören zu einer weiteren Spielart von Glycosiden. In diesen nichtionischen Zuckertensiden sind langkettige Alkohole mit Zuckermolekülen verbunden. So spricht man allgemein von Glycosiden, wenn ein Zucker ("Glycon") mit einem Alkohol (Zucker sind mehrwertige Alkohole), Phenol oder Amin verbunden ist. Diese Komponenten werden als "Aglycon" bezeichnet. Auch Schwefel- (Thioglycoside) und Selen-Verbindungen (Selenoglycoside) gehören dazu. Es gilt: Glycon + Aglycon = Glycosid Entsprechende Naturstoffe sind außerordentlich vielfältig. Sie werden enzymatisch mittels Glycosyltransferasen gebildet und umgekehrt bei Bedarf durch Glycosidasen wieder gespalten. Ihre Bedeutung für lebende Organismen besteht darin, dass viele schwerlösliche Naturstoffe durch Glycosylierung wasserlöslich werden. Nur als Glycosid ist ihr Transport im Stoffwechsel der Organismen möglich. Unsere Niere entledigt sich übrigens von wasserunlöslichen Stoffen wie Steroiden, Arzneimittelmetaboliten und Giftstoffen, indem sie diese glycosidisch an Glucuronsäure (Zuckersäure) koppelt. Diesen Vorgang nennt man auch Glucuronidierung. Analog wird der gelbe Gallenfarbstoff Bilirubin nach Glucuronidierung über den Darm entsorgt. Viele Naturstoffe In wässrigen Pflanzenextrakten sind viele kosmetische Wirkstoffe als Glycoside enthalten. Beispiele: Im Arbutin liegt nicht nur eine wasserlösliche Verbindung (Glycon: Glucose), sondern auch die Stabilisierung eines oxidationsempfindlichen Stoffes (Aglycon: Hydrochinon) vor. Arbutin wird bei Hyperpigmentierungen eingesetzt. Anthocyane sind glycosidische Pflanzenfarbstoffe, deren Aglycon Flavon-ähnliche, positiv geladene Polyphenole wie das Cyanidin (E 163b) sind. Ihre Farbe ist pH-abhängig. Sie werden als Lebensmittelfarbstoffe (E 163x) verwendet. Flavonoide wie das Quercetin (Glycosid: Rutin) und das Hesperidin bilden wasserlösliche Glycoside, die antioxidativ, antimikrobiell und zum Teil gefäßstabilisierend (Rutin) wirken. Lokale östrogene Wirkung geht von den Isoflavonen ("Phytohomone") aus. Die wichtigsten, in Soja und Rotklee vorkommenden Isoflavone sind Daidzein (Glycosid: Daidzin) und Genistein (Glycosid: Genistin). Bei den natürlichen Glycolipiden sind Mono- oder Oligosaccharide mit Diglyceriden von Fettsäuren (Glyceroglycolipide) oder Ceramiden glycosidisch verbunden (Sphingoglycolipide, Cerebroside). Sie sind Bestandteile von Zellmembranen. Aus kosmetischer Sicht sind Glycolipide als hochwertige und biologisch schnell abbaubare Biotenside - ähnlich den Alkylpolyglycosiden - für Reinigungspräparate geeignet. Ihrer Verwendung steht die aufwendige Herstellung entgegen. Salicin ist ein Glucosid des Weidenrinden-Extraktes. Das aus Glucose und Salicylalkohol gebildete Salicin hat wie Salicylsäure eine antimikrobielle Wirkung. Im Körper wird Salicin zu Salicylsäure verstoffwechselt. Saponine sind Glycoside von Steroiden und Triterpenen. Zu ihnen gehört das Glycyrrhizin des Süßholzes, das ein Glycosid der Glycyrrhetinsäure ist. Das Saponin Ruscin findet sich im Mäusedorn-Extrakt, steroidale Saponine sind auch in Kigelia-Extrakten (Leberwurstbaum) enthalten. Diese und weitere Saponine stabilisieren wie das Aescin (Gemisch verschiedener Saponine der Kastanie) die oberflächlichen kapillaren Blutgefäße und festigen das umgebende Bindegewebe. Anwendungsgebiete der Extrakte sind Augenpräparate sowie Produkte für die Rosacea-anfällige Haut, Couperose, Ödeme und die Dekolleté-Pflege. Saponine sind auch im straffenden Schachtelhalm-Extrakt enthalten.
Übrigens: Zu den Glycosiden zählen die herzwirksamen Digitalisglycoside des Fingerhuts. Bitter- und Schärfestoffe aus Senf, Meerrettich oder auch Wasabi gehören zu den Senföl-Glycosiden. Glycoproteine & Co Unter den Glycosiden mit Aminen befinden sich: Nucleoside wie Adenosin, Guanosin, Cytidin und Uridin. Dabei ist die Zuckerkomponente Ribose. Desoxyverbindungen resultieren aus Desoxyribose. Nucleotide sind die Mono-, Di- und Triphosphate der Nucleoside wie etwa AMP, ADP und ATP (Adenosinmono-, -di-, bzw. -triphosphat) sowie analoge Desoxyverbindungen. Nukleinsäuren setzen sich aus den Nucleotiden zusammen. DNA (Desoxyribonukleinsäure) enthält Nucleotide mit Desoxyribose, RNA (Ribonukleinsäure) mit Ribose. Glycoproteine werden enzymatisch aus Proteinen und Zuckern gebildet. Zu ihnen zählen etwa die Membranproteine der Zellen, die für die Immunantwort zuständigen Immunglobuline, die Interferone sowie die schleimbildenden Mucine, die sich in Mund, Magen, Darm, Nase oder Bronchien befinden. Glycolipoproteine sind für die verschiedenen Blutgruppen verantwortlich.
Vereinzelt werden Nucleoside, Nucleotide und tierische Extrakte mit Glycoproteinen in der Haupflege eingesetzt. Der Nutzen liegt derzeit eher auf Seiten der Werbemöglichkeiten. Ribose-Nucleotide dienen in Lebensmitteln als Geschmacksverstärker (E 6xx). Inosinmonophoshat (E 630) schmeckt z. B. fleischig. Glycation Eine nicht enzymatische Reaktion findet man bei der Glycation - auch Glykierung genannt. Dabei entstehen im Körper aus Fructose, Galactose oder Glucose und Proteinen unkontrolliert nicht nur Glycoside sondern auch Kondensationsprodukte analog der Maillard-Reaktion. Die Produkte können auch farbig sein (Melanoidine). Die Reaktionsprodukte, die zum großen Teil strukturell nicht aufgeklärt sind, werden unter der Bezeichnung AGE zusammengefasst: Advanced Glycation Endproducts. Sie kumulieren mit der Zeit auch in der Haut und beeinflussen das Hautbild. Gründe für die Entstehung von AGE sind: Die Beteiligung an Altersflecken wird diskutiert. Sie sehen: Wenn man sich mit Glycosiden vertraut macht, erschließen sich einem viele Zusammenhänge.
Dr. Hans Lautenschläger |