Bei Bestrahlungen im Verlauf der Krebstherapie ist neben dem Zielgewebe die Haut praktisch immer mit betroffen. Zwar reagieren Tumorzellen empfindlicher auf die Strahlung, doch ist die Schädigung gesunder Zellen meist nicht zu vermeiden.
Reaktionen der Haut
Es kommt zu einer verzögerten Neubildung von Basalzellen und je nach Strahlendosierung zu reversiblen oder irreversiblen DNA-Schäden. Die körpereigenen, kollagenabbauenden Matrix-Metalloproteinasen werden dosisabhängig angeregt, so dass die Haut eventuell atrophiert. Außerdem kann es zu aktinischen Hautschäden kommen. Die Sebumsekretion geht zurück und die Hautbarriere wird empfindlich gestört. Sichtbare Folgeerscheinungen sind eine trockene Haut infolge eines erhöhten transepidermalen Wasserverlustes (TEWL) und eine gerötete Haut (Erythembildung) - ähnlich wie beim Sonnenbrand. Die mit der Erythembildung verbundenen Irritationen können sehr intensiv sein. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Radiodermatitis. Wegen einer verstärkten Zellteilung nach der Strahlenschädigung schuppt sich die Haut (Desquamation). Dabei werden die obersten Barriereschichten des Stratum corneum abgestoßen. Bei hohen Strahlendosen und entsprechend starken Schäden der Basalschicht löst sich die Barriereschicht nässend ab; das kann bis hin zu nekrotischen Veränderungen der Haut und Ödemen gehen. Gleichzeitig ist es möglich, dass das Enzym Tyrosinase angeregt wird, so dass sich die Haut infolge der verstärkten Melaninbildung entsprechend dunkler färbt. Des Weiteren können die Strahlen die Haarwurzelzellen schädigen - die Haare fallen aus; auch die Funktion der Schweißdrüsen wird eingeschränkt.
Sofortreaktion: Erythem
Die Dosierung in der Strahlentherapie wird in der Einheit Gy nach dem britischen Physiker Louis Harold Gray angegeben. Die Energiedosis von 1 Gy entspricht 1 Joule (J) pro kg. Selbst bei niedrigen Dosen bis etwa 20 Gy treten häufig Hautveränderungen auf, die einem Sonnenbrand ähneln, bei hohen Dosierungen über 50 Gy sind Erytheme die Regel. Die Dosierung ist von der Tumorart, seiner Strahlenempfindlichkeit und von seiner Tiefe im Körper abhängig. Erytheme gehören zu den Sofortreaktionen, die sich erstmals ca. 2-3 Wochen nach Beginn der Strahlentherapie zeigen. Spätreaktionen können nach Jahren u. a. erweiterte (dilatierte) Gefäße, Teleangiektasien, Pigmentflecke und Atrophie der Haut sein. Entscheidend für die Stärke der Nebenwirkungen sind 3 Faktoren:
Indem man die einzelnen Dosen verteilt, möchte man die Tumorzellen in verschiedenen Wachstumszyklen schädigen. Entsprechen die Tumorwachstumszyklen den Zyklen der Hautregeneration weitestgehend, wird die Haut stärker in Mitleidenschaft gezogen. Doch nicht nur die Stellen, wo die Strahlen in die Haut dringen, sind hinsichtlich der Reaktionen relevant, sondern auch die Austrittsstellen und die umliegenden Hautareale (Streustrahlung!). Selbstverständlich darf die Haut während der Therapie nicht noch zusätzlich durch UV-Strahlung belastet werden. Lässt sich die Exposition nicht vermeiden, ist die Haut unbedingt durch Sonnenschutzpräparate mit hohem Lichtschutzfaktor zu schützen.
Entzündungen, Brennen, Jucken
Ein für hochenergetische Strahlung typischer Vorgang ist die Radikalbildung in der Haut. In dieser Beziehung unterscheidet sich radioaktive Strahlung nicht von ultravioletter Strahlung der Sonne - nur die Eindringtiefe ist höher und die sichtbare Wirkung tritt später ein. Es werden unter anderem energiereiche Sauerstoffradikale und Peroxinitrit gebildet. Entzündliche Reaktionen sind die Folge, wobei das Ausmaß - wie bei einem Sonnenbrand je nach Hautpartie - unterschiedlich ausfällt. Der Dekolletébereich reagiert beispielsweise besonders stark. Mit der Entzündung können Brennen und Hautjucken verbunden sein. Die Radikale werden zum Teil von Aminosäuren (NMF), aber auch von der für den Hautturgor wichtigen Hyaluronsäure abgefangen. Letztere befindet sich in der extrazellulären Matrix und wird dabei abgebaut - ein Vorgang, der ebenfalls für die oben erwähnte Atrophierung der Haut verantwortlich ist. NMF und Hyaluronsäure sind daher generell für die konditionierende Hautpflege vor der Bestrahlung wichtig.
Die richtige Pflege der Haut
Wirkstoffe • Wenn die Hautbarriere stark geschädigt ist, nimmt parallel zur Erhöhung des transepidermalen Wasserverlustes das Infektionsrisiko zu. Denn die unfreiwillige Öffnung der Barriere ist keine Einbahnstraße. Während Wasserdampf von innen nach außen wandert, dringen Keime von außen nach innen ein. Wenn die Haut darüber hinaus droht, rissig zu werden, sind als erste Hilfe Pflegepräparate mit adstringierenden Wirkstoffen zu empfehlen. Zu ihnen gehören Hamamelis-Extrakt, gerbsäurehaltige Tee- und Tannin-Präparate. Offene Wunden sind selbstverständlich für die Hautpflege tabu.
Hautreinigung • Ein anderes Problem können Stoffe mit irritierenden Eigenschaften sein. Daher sollte der Gebrauch von Körperreinigungsmitteln mit aggressiven Tensiden (Laurylsulfat, Laurylethersulfat etc.) so weit wie möglich unterbleiben. Lauwarmes Wasser genügt, um die Haut zu reinigen. Alternativ stehen schaumarme Reinigungspräparate z. B. mit Zuckertensiden zur Verfügung. In der Vergangenheit wurde die Hautreinigung bestrahlter Flächen seitens der behandelnden Ärzte sogar ganz verboten. Um Quellungen zu vermeiden, sind Duschbäder allerdings auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu beschränken. Hilfreich können im Übrigen auch überfettete konventionelle Seifen mit einem hohen Anteil freier Palmitinsäure oder Stearinsäure sein, wenn sie in niedriger Konzentration eingesetzt werden. Die Säuren und deren Salze sind physiologisch unproblematisch, bieten einen vergleichsweise günstigen pH und haben sich auch bei neurodermitischer Haut bewährt. Kurze Kamille-Bäder wirken beruhigend. Eine Irritationsquelle kann die Nassrasur mit Rasierseife sein. Es wird daher empfohlen, auf die Trockenrasur umzusteigen, sofern der Haarwuchs im Bestrahlungsfeld nicht bereits erheblich gestört ist. Statt eines hochalkoholhaltigen Rasierwassers kann man ein CM-Glucan-haltiges Gel verwenden, um die Haut zu beruhigen und Entzündungen zu hemmen.
Hilfsstoffe • Auf parfümhaltige Hautpflegemittel (sensibilisierendes Potenzial) ist ganz zu verzichten. Dies gilt auch für Konservierungsmittel, die tief in die Haut penetrieren können. Emulgatoren, die sich vom Polyethylenglykol ableiten, sind ein immer noch wenig bekannter störender Faktor bei Hautpflegemitteln. Sie bilden unter energiereicher Strahlung und Anwesenheit von Luftsauerstoff entzündungsauslösende Reaktivstoffe. Hier ist ein Blick auf die Auflistung der Inhaltsstoffe (INCI) unerlässlich. Grundsätzlich sollte man bei Pflegemitteln darauf achten, dass die Emulgatoren in der Haut abgebaut werden können und die Integrität der Barriere nicht zusätzlich stören. Am besten eignen sich emulgatorfreie Präparate, insbesondere pflanzliche Öle, deren Anwendung aber im Allgemeinen als nicht angenehm empfunden wird.
Pflegegele • In Form von Oleogelen kann man Pflanzenöle jedoch wie eine Creme anwenden. Gegenüber traditionellen Vaselineprodukten haben diese Oleogele den Vorteil, gut zu fetten; außerdem ziehen sie gleichzeitig gut ein. Hier zeigt sich ebenfalls eine Parallele zur Pflege neurodermitischer Haut - diese ist auch barrieregestört und besonders trocken. Auch bei dieser Hauterkrankung ist es beispielsweise wichtig, mechanische Reize wie eng anliegende Kleidung zu vermeiden. Gele mit Alginaten, Hyaluronsäure, CM-Glucan, Aloe vera, D-Panthenol und Aminosäuren (NMF) sind allgemein gut geeignet, um die Haut feucht zu halten. Sie entsprechen den Kligman'schen Vorstellungen in der Korneotherapie, wonach die Hautfeuchte die wichtigste Voraussetzung für eine intakte Haut ist. Sind Gele geeignet zusammengesetzt, können sie sogar Fettstoffe in Form von Pflanzenölen aufnehmen. Die in der Haut gebildeten Metaboliten der in den Ölen enthaltenen essenziellen Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren wirken entzündungshemmend.
Phosphatidylcholin • Erste Praxis-Erfahrungen mit Kombinationen von DMS-Basiscremes mit Leinöl-Nanopartikeln während der Therapie sind ebenfalls vielversprechend. Im Falle vorliegender aktinischer Keratosen haben sich zudem Nanopartikel mit Boswellia-Harz zur unterstützenden (adjuvanten) Pflege bewährt. Nanopartikel interessieren bei Strahlenschäden weniger hinsichtlich ihrer Größe, die im Schnitt zwischen 50 und 150 nm beträgt, sondern wegen ihres Phosphatidylcholin-Gehaltes, der ähnlich wie Liposomen die Fusion mit den Barriereschichten ermöglicht. Phosphatidylcholin (PC) hat darüber hinaus gegenüber γ-Strahlung eine zellprotektive Wirkung. PC-Liposomen wirken sowohl bei Schäden durch γ-Strahlung als auch UV-Strahlen regenerativ und werden daher auch in After-sun-Präparaten bei Sonnenerythemen mit Erfolg eingesetzt. In Wasser dispergierbare PC-Öl-Mischungen kann man außerdem vorteilhaft zu einer sehr sanften Hautreinigung mit gleichzeitigem pflegendem Effekt einsetzen. Nachteil dieser Produkte ist ihr im Vergleich zu konventionellen Reinigungsprodukten hoher Preis. Diesen muss man jedoch in Relation zu den herausragenden Eigenschaften dieser Produkte setzen.
Puder & Co. • Die früher häufig propagierten Puder machen nur dann Sinn, wenn sie nicht austrocknend wirken - wie beispielsweise spezielle Puder mit einem Harnstoffanteil. Diese wirken außerdem juckreizhemmend. Soweit dekorative Präparate nach Rücksprache mit dem verantwortlichen Strahlentherapeuten eingesetzt werden, gelten für diese Produkte die gleichen Kriterien wie für die reine Hautpflege: möglichst wenige Hilfsstoffe und keine Stoffe, die die hauteigene Regeneration beeinträchtigen können. Das bedeutet vor allem auf abdeckende Mineralöle und Mineralwachse zu verzichten. Inwieweit welche Hautpflegemittel im Einzelfall eingesetzt werden, hängt selbstverständlich von der individuellen Situation ab und lässt sich nur in Einklang mit dem Therapeuten entscheiden. Eine ganz wichtige Voraussetzung für eine schnelle Wiederherstellung der Haut nach der Therapie ist die bestmögliche Kondition vor der Therapie. Daher sollte bereits schon mehrere Wochen vor einer geplanten Strahlentherapie ein wirksamer Hautschutz einsetzen. Für das angeschlagene Selbstwertgefühl der Patienten ist es wichtig, die Hautschäden so gering wie möglich zu halten.
Dr. Hans Lautenschläger |