Schon bei der Nahrungsaufnahme werden komplexe Stoffe enzymatisch in resorbierbare Einzelteile zerlegt. Das geschieht sowohl mittels körpereigener Enzyme als auch durch die Enzyme des Mund- und Darmmikrobioms. Nicht nur das, auch die Enzyme der Hautflora sind beteiligt, wenn es darum geht, Stoffe durch die Haut aufzunehmen. Die Fortsetzung erfolgt im körperlichen Stoffwechsel, wo aus den Nahrungsfragmenten enzymatisch wiederum komplexe Strukturen auf- und später auch wieder abgebaut werden, bis schlussendlich die daraus resultierenden Abfallstoffe über Lunge, Drüsen und Niere ausgeschieden werden. Auch hier ist die Hautflora aktiv, indem durch Abbau von Bestandteilen der Hornschicht die für den Säuremantel der Haut wichtigen Säuren erzeugt werden.
Ökonomisch Hand in Hand
Der Vorteil der Enzyme gegenüber der klassischen Chemie liegt darin, die genannten Reaktionen katalytisch, d. h. ökonomisch unter einem minimalen Energieaufwand durchzuführen. Aber das ist noch nicht alles: Bei Bedarf wird die Leistung erhöht, können Depots angelegt oder umgekehrt die Leistung gesenkt werden, wenn der Bedarf abnimmt. Enzyme sind also auch biologische Regler, die die Körperaktivitäten an die sich ändernden Bedingungen anpassen. Außerdem halten sie unsere Körpertemperatur konstant und ermöglichen Bewegung und Wachstum. Rückblickend und erdgeschichtlich betrachtet, gelten katalytisch wirksame Stoffe und später die daraus resultierenden Enzyme als erste Vorstufen des Lebens. In darauffolgenden Entwicklungsschritten haben sich einzelne Enzyme aufeinander eingestellt und zunehmend Hand in Hand gearbeitet. Mit weiter wachsendem Organisationsgrad bildeten sich selbständige Organismen, die dann sogar in der Lage waren, sich enzymatisch zu duplizieren. Unsere Gene sind nichts anderes als der Organisationschlüssel für sämtliche, später gebildete Enzyme und deren Aktivitäten.
Störungen im Netzwerk
Wenn einzelne Enzyme innerhalb einer Kette und im Netzwerk nicht richtig arbeiten, kommt es zu Störungen im Gesamtorganismus. Das geschieht zum Beispiel durch vererbte Enzymdefekte oder Veränderungen im Mikrobiom des Darms. Viele Arzneimittel hemmen oder stimulieren Enzyme, um einen Krankheitsverlauf zu beeinflussen, entwickeln dadurch aber auch Nebenwirkungen, indem unbeabsichtigt in andere enzymatische Regelkreise eingegriffen wird. Ein typisches Beispiel sind nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAID), bei denen es durch einen veränderten Prostaglandin-Stoffwechsel unter anderem zu Magenschleimhautschäden kommen kann. Andererseits wurden im Laufe der Zeit viele Theorien hinfällig, bei denen die gleichgewichtsregulierenden Eigenschaften der körperlichen Enzyme außer Acht gelassen wurden. Das betrifft zum Beispiel den widerlegten Einfluss cholesterinhaltiger Speisen auf den Cholesterinspiegel, die Erhöhung des Blutdrucks durch Salz oder die Bekämpfung freier Radikale mit antioxidativen Nahrungsergänzungsmitteln.
Einfluss der Hautpflege
Ein interessanter Aspekt ist diesbezüglich auch die Frage, wie die Ingredienzien von Hautpflegemitteln verstoffwechselt bzw. abgebaut werden. Welchen Anteil haben daran die Enzyme des Hautmikrobioms und wie hoch ist der Beitrag der epidermalen Enzyme? Aus den Antworten ergeben sich naturgemäß Konsequenzen nicht nur für die Zusammensetzung von Kosmetika, sondern auch für die "Pflege" des Mikrobioms. Das ist aber gewissermaßen Zukunftsmusik, da die Verhältnisse mehr als kompliziert und die gegenseitigen Interaktionen heute noch schwer vorhersehbar sind. Allerdings zeichnen sich schon einige Ingredienzien ab, die eindeutig kontraproduktiv sind. Dabei handelt es sich z. B. um:
- Konservierungsstoffe: Sie verändern die Mikroflora, indem sie potenziell resistente Keime erzeugen können, die sich auf Kosten anderer Populationen ausbreiten.
- Desinfektionsmittel bewirken eine ungenügende Ausbildung des Immunsystems der Haut. Dabei spielen auch die enzymatisch gebildeten antimikrobiellen Peptide (AMP) eine Rolle.
- Physiologisch nicht abbaubare Komplexbildner binden die für viele Enzyme wichtigen Spurenelemente.
- Physiologisch nicht abbaubare Emulgatoren führen zu Störungen in der Hautbarriere, indem sie neben ihrem Auswascheffekt unter anderem Enzyme denaturieren können und wie das Sodium Lauryl Sulfate (INCI) sogar irritativ wirken.
- Endokrine Disruptoren wirken sich auf den enzymatisch kontrollierten Hormonstoffwechsel aus, indem sie mit den Hormonrezeptoren interagieren, den Hormonabbau und die damit verbundene Bildung von Metaboliten beeinflussen.
Abbau von Proteinen
Die Hemmung von Enzymen ist dann von Vorteil, wenn fakultativ pathogene Keime des Mikrobioms mit ihren Proteasen auf eine bereits geschädigte Barriere treffen und so zum Abbau endogener Proteine führen. Boswelliasäuren aus dem Weihrauch sind ein Beispiel dafür und werden daher bei keiminduzierten, entzündlichen Hautveränderungen wie Akne, Neurodermitis und Rosacea mit Erfolg eingesetzt. Bei Rosacea tritt sogar ein Doppelnutzen ein, da auch die AMP-abbauenden endogenen Proteasen gehemmt werden, die in diesem Fall schneller arbeiten als die AMP-aufbauenden Enzyme. Auch der NMF, in der Hauptsache bestehend aus Aminosäuren, resultiert aus dem Werk epidermaler Proteasen, die Proteine abbauen. Der NMF stellt einen wichtigen Schutzfaktor dar, da er der Garant für eine physiologisch bedingte Hautfeuchte ist und die Haut gegen atmosphärische Radikale schützt. Ähnlich arbeiten Enzympeelings, die in der Regel aus Ananas oder Papaya gewonnen werden und als Pulver - gemischt mit Trägern wie Kaolin, Diatomeenerde und Alumosilikaten - mit Wasser angerührt wie eine Maske auf die Haut aufgetragen und nach einer gewissen Zeit (meist ca. 20 min) wieder abgenommen werden. Gegenüber anderen keratolytischen Verfahren handelt es sich hier um eher milde Peelings.
Antimikrobielle Peptide
Die antimikrobiellen Peptide (AMP) bilden in der Hautbarriere gewissermaßen eine "Verteidigungslinie" zur Hautflora, an der es immer wieder zu kleinen Scharmützeln kommen kann, wo aber im Wesentlichen Waffenstillstand herrscht. Wenn es zu Vorstößen mikrobieller Proteasen kommt, wird der AMP-Level sofort enzymatisch hochreguliert. Viele der AMPs besitzen selbst Enzymeigenschaften, z. B.:
- Lysozyme gehören zu einer umfangreichen Familie von Enzymen, die in Flora und Fauna vorkommen und vor allem gegen Bakterien aktiv sind.
- Ribonuclease-7 (RNase-7) ist ein hochwirksames AMP im Urogenitaltrakt und attackiert Keime an der Hautoberfläche.
- Lactoferrin hemmt verschiedene bakterielle Proteasen und kommt unter anderem in der Milch und dem Vaginalsekret von Säugern vor.
Ungleichgewichte
Enzyme spielen bei Entzündungen und chronischen Hautkrankheiten eine große Rolle. So können Verletzungen, mechanische Irritationen, Infektionen sowie Barriere- und Verhornungsstörungen eine Kaskade enzymgesteuerter Reaktionen auslösen. Ein Schlüsselenzym ist dabei die 5-Lipoxygenase, die Arachidonsäure zu 5-Hydroperoxyeicosatetraensäure (5-HPETE) oxidiert, die wiederum enzymatisch die pro-inflammatorischen Leukotriene LTA4, LTB4, LTC4, LTD4 und LTE4 bildet. Bei der Vitiligo (Weißfleckenkrankheit) werden erhöhte Wasserstoffperoxid-Gehalte in der Haut gefunden. Eine der vermuteten Ursachen ist die unzureichende Aktivität der dermalen Katalase, ein Enzym, das Wasserstoffperoxid in Wasser umwandelt. Wasserstoffperoxid hemmt das Enzym Tyrosinase, das für die Melaninbildung zuständig ist. Dementsprechend kann unter diesen Verhältnissen kein Melanin gebildet werden. Enzyme regulieren auch den Auf- und Abbau des Kollagens im Bindegewebe. Mit fortschreitendem Alter wird mehr ab- als aufgebaut. Daher wird unter anderem versucht, die dafür zuständigen Matrixmetalloproteasen zu hemmen oder die Kollagen-aufbauenden Enzyme zu stimulieren. Die studienmäßig gefundenen Effekte fallen in der Praxis jedoch eher bescheiden aus. Es gibt viele andere Hautprobleme, die auf die Über- oder Unterfunktion einzelner Enzyme zurückzuführen sind. Häufig kann durch Hemmung oder Stimulation oder durch den Einsatz von Enzym-ähnlichen Substanzen Abhilfe geschaffen werden. Wie bereits bei Arzneimitteln beschrieben, ist jedoch zu beachten, dass dabei gegebenenfalls auch andere Funktionen innerhalb des Netzwerkes beeinflusst werden und zu unerwünschten Langzeiteffekten führen.
Enzyme in der Kosmetik
Freie Enzyme sind in der Kosmetik eher selten anzutreffen. Das liegt an dem recht komplizierten Aufbau dieser Stoffklasse, der nur oberflächliche Wirkungen zulässt. Daher findet man nur Stoff-abbauende Vertreter wie die bereits genannten Enzym-Peelings oder Probiotika mit Milchsäurebakterien, die mittels ihrer Enzyme aus körperlichen Polysacchariden Milchsäure erzeugen und damit den pH senken. Letztere werden vor allem im Intimbereich eingesetzt. Häufiger sind dagegen Bruchstücke von Enzymen, die sogenannten Co-Faktoren. Unter ihnen befinden sich beispielsweise Coenzym Q10 (Ubichinon), Pantothensäure (Bestandteil des Coenzyms A), D-Panthenol (Vorstufe der Pantothensäure), Riboflavin (Vitamin B2), Niacin, Biotin und Folsäure mit ganz unterschiedlichen Wirkungen, die in der Regel keinen Bezug zu den Enzymen haben. Dagegen kommen relativ häufig Enzymsubstrate zum Einsatz, bei denen man die vorhandenen endogenen Enzyme und die des Hautmikrobioms nutzt. Beispiele:
- Essenzielle Fettsäuren (Substrate der 15-Lipoxygenase) - entzündungshemmend
- Triglyceride (Substrate von Lipasen) - Bildung von Säuren, die in die Hautbarriere eingebaut werden
Ansonsten wird viel mit hemmenden Substanzen gearbeitet, die z. B. gegen Hyperpigmentierung (Tyrosinasehemmer) oder Schuppen (Hemmstoffe der Ergosterin-Biosynthese von Pilzen) und Körpergerüche (antimikrobiell) wirksam sind.
Schlussbemerkung
Es gibt sehr viele Studien, die den Zusammenhang zwischen Enzymdefekten und Hautkrankheiten schlüssig belegen. In der Praxis werden diese Erkenntnisse in der Dermatologie und den kooperierenden Service-Labors aber so gut wie nicht genutzt. Vielen Neurodermitikern könnte man z. B. auf einfache, nicht medikamentöse Weise helfen, indem man die defekte Delta-6-Desaturase, ein Enzym des Fettsäurestoffwechsels, diagnostiziert und die dadurch fehlende Gamma-Linolensäure in Form einer wasserähnlichen Nachtkerzenöl-Nanodispersion appliziert.
Dr. Hans Lautenschläger
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