Kosmetika lösen Wirkungen auf der Haut aus, die sicht-, fühl-, mess- und vorstellbar sind. Wie kann frau die für ihre persönliche Hautpflege geeigneten Wirkstoffe schnell erkennen?
Bewertung von Wirkstoffen
Zahlreiche kommerzielle Portale haben das Thema als Geschäftsmodell erkannt und es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur Wirkstoffe, sondern generell kosmetische Komponenten und ganze Produkte bei Anfrage oder Eingabe auf ihre Eignung und Qualität hin zu bewerten. Beim Besuch verschiedener Portale wird man feststellen, dass die Ergebnisse durchaus nicht immer übereinstimmen. Das hat seine Gründe. Die Geschäftsmodelle sind gekoppelt mit anderen Interessen. Eingeblendete Anzeigen deuten auf Werbeaktivitäten. Manche Portale sind über den Login an Adressen interessiert, andere daran, letztendlich Qualitäts-Label und -Siegel an Hersteller zu verkaufen. Auch Abonnementen suchende Zeitschriftenverlage mit ihren Testergebnissen befinden sich darunter. Und nicht zuletzt Zusammenschlüsse von Herstellern, die eigene Standards kultivieren, um damit zu werben. Sich über das Impressum zu vergewissern und darüber hinaus zu informieren, mit wem man es wirklich zu tun hat, kann also nicht schaden.
Natürlich oder synthetisch?
Tatsächlich sind die Dinge im Detail wirklich kompliziert. Da sind zum einen wissenschaftliche Fakten – über das Potential und die Aktivität eines Antioxidans etwa – und auf der anderen Seite die Information, dass es sich um ein Produkt aus der chemischen Synthese handelt. Nun werden viele sagen: Natur ist gut, Chemie geht gar nicht – eine Einstellung, der man häufig begegnet. Verständlich, wenn man bedenkt, wie viele Schornsteine die Chemie braucht, um nur einen Bruchteil dessen hinzubekommen, was die Natur in Wald, Wiese und Wasser umweltverträglich erzeugt. Schaut man sich die Alternativen an, also Antioxidantien wie Vitamin C (Ascorbinsäure) oder Vitamin E (Tocopherol), wird man allerdings feststellen, dass die Gewinnung aus natürlichen Ressourcen energie- und klimatechnisch um ein Vielfaches aufwendiger und teurer ist, als die chemische Synthese. Das spiegelt sich auch in der Verwendung wider. Bis auf wenige Ausnahmen, wo explizit mit den natürlichen Vertretern geworben wird, findet man die synthetischen Verbindungen in kosmetischen Produkten.
Ursprung unbekannt
Bei den Antioxidantien kann man synthetisch und natürlich noch einigermaßen zurückverfolgen. Schwierig wird es bei ganz einfachen Komponenten wie dem Glycerin beispielsweise. Glycerin kann aus der Spaltung pflanzlicher Öle in Glycerin und Fettsäuren stammen, also dem uralten chemischen und immer noch aktuellen Prozess der Verseifung aus vorindustrieller Zeit. Oder es wird rein synthetisch, mehr noch, aus Komponenten produziert, die aus der Petrochemie, dem Erdöl, entnommen sind. Sehr preiswert, abgesehen vom schlechten Image! Doch halt: Was ist eigentlich Erdöl? So wie es aus der Erde als klebender, schmutziger und stinkender Stoff gefördert wird, ist es eindeutig ein Naturstoff. Ist er es nach physikalischer und chemischer Verarbeitung nicht mehr? Nein, er ist es nicht mehr!
Biotechnologisch und vegan
Ähnliche Verhältnisse treffen wir in Bereichen an, wo es weniger schmutzig zugeht, also bei der chemischen Derivatisierung, d. h. der Veredelung von pflanzlichen Polysacchariden wie Cellulose oder Stärke etwa. Das geht sogar so weit, dass die aus Polysacchariden hergestellte Glucose biotechnologisch – also mit Hilfe von Bakterien – wieder zu neuen Polymeren wie der Hyaluronsäure zusammengesetzt wird. Sicher ein großer Fortschritt im Vergleich zur Herstellung aus Hahnenkämmen! Denn kosmetische Inhaltsstoffe von Tieren möchten wir auch nicht. Am liebsten sind uns vegane Stoffe. Es wäre aber zu einfach, wenn wir nicht an dieser Stelle auch gentechnisch veränderte Pflanzen hätten. Was ist von entsprechenden Ölen aus Soja, Sonnenblume und Raps zu halten? Muss der Verbraucher nicht damit rechnen, dass er Stoffe in sich aufnimmt, deren Nebenwirkungen noch gar nicht bekannt sind?
Labels und Siegel
An dieser Stelle treten nun die Institutionen auf den Plan, die Zertifikate, Label und Siegel an die Hersteller verkaufen. Je nach Gusto können sich Verwender an den Adjektiven natürlich, biologisch, vegan und ohne Gentechnik orientieren und darüber hinaus ihr Gewissen damit beruhigen, dass lokal, in Europa oder in Übersee unter fairen Bedingungen für die Beschäftigten produziert wird. Unserer Haut sind all diese Gesichtspunkte ziemlich egal. Sie entscheidet nach ganz anderen Kriterien, ob sie sich nach der Anwendung von kosmetischen Produkten sauber fühlt, sich regeneriert, oder mit Jucken, Rötungen, Irritationen aufblüht. Und unsere Haut ist nicht alleine. Da ist ja noch das Mikrobiom. Was ist für die beiden das Beste und was ist ihnen abträglich?
Der Link vom Hirn zur Haut
Beginnen wir mit dem Placebo, eben einem Wirkstoff, der nicht wirkt, mit dem sich frau aber wohlfühlt. Nein, das ist kein Unsinn. Es ist ja kein Geheimnis, dass unsere Haut auf Signale aus dem Gehirn reagiert. Zeitgenossen, deren Haut sofort protestiert, wenn sie etwas Ekliges sehen oder fühlen, sind nicht selten. Umgekehrt reagieren viele, wenn ihnen etwas Gutes widerfährt. Die Edelsteinkosmetik ist ein Beispiel dafür. Man muss kein Esoteriker sein, um die nicht vorhandenen Spurenelemente zu spüren und sich damit gut zu fühlen. Schon der Ruf, der einem Wirkstoff vorausgeht, erzeugt Erwartungen, die in selbsterfüllender Prophezeiung zur Wirklichkeit mutieren.
Physiologisch – mit und ohne Nebenwirkungen
Mal abgesehen von diesen Placebos und Nocebos kann man feststellen: Jeder Stoff, der sich bei der Aufnahme durch die Haut in den Organismus integriert, verstoffwechselt und entsorgt wird, ohne die biochemische Gleichgewichte zu verändern und Nebenwirkungen zu erzeugen, ist aus Sicht nicht nur der Haut, sondern auch des Mikrobioms ein guter und problemloser Stoff. Er ist Physiologie-kompatibel oder kurz physiologisch. Das gilt unabhängig davon, welcher Provenienz der Stoff entstammt, und wie er hergestellt wurde. Keine Regel ohne Ausnahme: Wir kennen alle die Paracelsus-Regel, dass erst die Dosierung – im Fall der Haut wäre sie gleichbedeutend mit der Konzentration – einen Stoff zum Gift macht. Das gilt auch für physiologische Stoffe – aus unterschiedlichen Gründen. Beispiele:
- Das Salz aus der Küche (Natriumchlorid) ist physiologisch und kursiert mit dem Blut durch unseren ganzen Körper. Hoch hypertonische Lösungen oder das reine Salz erzeugen Reizungen auf der Haut. Gleiches gilt für den ebenfalls physiologischen Harnstoff, der sogar in der Lage ist, keratolytisch zu wirken und Fußnägel ablösen kann. Hohe Dosierungen des im zellulären Bereich befindlichen Kaliumchlorids wirken tödlich, wenn sie injiziert werden.
- Vitamin A ist physiologisch wichtig für unsere Seenerven und kurbelt die Regeneration an – hervorragend geeignet für Anti-Aging-Präparate. Hohe Dosierungen, z. B. auf den gesamten Körper appliziert, können das ungeborene Leben bei Schwangeren gefährden.
Hautpflege zum falschen Zeitpunkt
Eine weitere Rahmenbedingung, die für alle – so auch für physiologische Stoffe – gilt, ist die Beachtung bei und nach der dermalen Applikation einwirkender äußerer Einflüsse. Strahlung zum Beispiel. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren werden in der Sonne unter Radikal- und Peroxid-Bildung angegriffen. Sind solche Bedingungen vorauszusehen, sollte von der Applikation abgesehen werden und die Hautpflege auf den Abend konzentriert werden, um den Fettsäuren genügend Zeit zu lassen, um einzuziehen. Ein falscher Zeitpunkt ist es auch, um beim Thema Sonne zu bleiben, nach der Entstehung eines Sonnenerythems (Sonnenbrand) die Irritation mit (physiologischen) Radikalfängern in den Griff zu bekommen. Damit werden die natürlichen, radikalisch ablaufenden Heilungsprozesse behindert. Das gleiche Problem gibt es im Übrigen auch bei der Chemotherapie.
Nicht-Qualität im Verborgenen
Ein weiterer Punkt sind Faktoren, die als solche gar nicht erst erkennbar sind. Es geht um Verunreinigungen, die entweder von vornherein in einem Wirk – oder auch Hilfsstoff enthalten sein können, die aber nicht in der INCI deklariert werden. Zum Teil kennt man sie, in anderen Fällen nicht, und es ist ungewiss, welche (langfristigen) Auswirkungen sie haben. Ein Beispiel: Bei pflanzlichen, also generell physiologischen Ölen hat man meist die Wahl zwischen kalt- und warmgepressten sowie raffinierten Ölen. Die gepressten Öle enthalten ein großes Spektrum an Nebenkomponenten, die nicht alle bekannt sind, Verfärbungen und Eigengerüche entwickeln und die vielfach die Haltbarkeit begrenzen. Auch Pestizide und Schwermetalle können darunter sein. Statistisch gesehen muss mit einer höheren Anzahl allergener Komponenten gerechnet werden als bei raffinierten Ölen. Diese allerdings können je nach Raffinationsprozess künstliche Verunreinigungen wie Glycidol und 3-Chlor-1.2-propandiol (3-MCPD) sowie deren Fettsäureester enthalten – ein Problem, dass naturgemäß auch bei Milchersatzprodukten auftritt.
Mikrobiom-Kompatibilität
Um die Mikrobiom-Kompatibilität muss man sich bei physiologischen Stoffen weniger kümmern. Sie ist fast automatisch gegeben, da Epidermis und Mikrobiom bestens aufeinander eingespielt sind. Dosierung, Behandlung, Rahmenbedingungen und Reinheit sind die wichtigsten Parameter physiologischer Wirk- und Hilfsstoffe. Siegel erübrigen sich dabei ganz. Die Zertifikate, die der Werbung mit Siegeln zugrunde liegen, werden von den Herstellern bezahlt und die Kosten an die Verwender weitergegeben. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg brachte es kürzlich auf den Punkt: "Zu Siegeln gibt keine gesetzliche Regelung. Die Siegel sind daher nichts weiter als zusätzliche Werbung."
Weitere Einzelheiten zum Thema finden Sie unter: Auf den Inhalt kommt es an – Bewertung von Kosmetika, Beauty Forum 2018 (11), 34-36
Dr. Hans Lautenschläger |