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Fragwürdige "frei von"-Werbung

 

In der Werbung wird Branchen-unabhängig viel versprochen, was nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmt. In der Kosmetik und in der Lebensmittelindustrie fokussiert sich die Werbung häufig auf die Hervorhebung von Inhaltsstoffen. Seit geraumer Zeit wirbt man aber auch umgekehrt mit Komponenten, die in einem Produkt nicht enthalten sind. Was ist von diesen Angaben zu halten?

 

Die "ohne"-Werbung spricht Käuferschichten an, die bestimmte Stoffe ablehnen oder nicht vertragen. Darüber hinaus wird auf Stoffe aufmerksam gemacht, mit denen sich die Konsumenten bisher möglicherweise gar nicht beschäftigt haben oder deren Eigenschaften ihnen mangels Interesses und fachlichen Wissens gar nicht bewusst sind.
Wie bei jeder anderen Werbung ist es das Ziel, sich von der Konkurrenz abzusetzen und dadurch den Umsatz zu steigern. Der Klassiker sind Produkte ohne Konservierungsstoffe.

Ohne Konservierungsstoffe

Nun sind Konservierungsstoffe nicht von vornherein nachteilig oder schädlich. Ein guter Wein konserviert sich beispielsweise selbst durch das "Genussmittel" Alkohol. Alkohol wird auch in Hautpflegemitteln verwendet und hat dort in niedrigen Konzentrationen keinen negativen Einfluss, das heißt. er wirkt auch nicht austrocknend.
Blickt man allerdings auf den Anhang V der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 (Kosmetikverordnung), in dem alle in der Kosmetik zugelassenen Konservierungsstoffe aufgeführt sind, dann findet man Alkohol nicht. Stattdessen stehen in der Liste Stoffe, denen ein beträchtliches allergenes Potenzial eigen ist. Das ist der Hauptgrund, warum sie gelistet sind. Um diese Stoffe geht es also, wenn mit "ohne Konservierungsstoffe" geworben wird. So weit so gut.
Nicht gut ist allerdings, wenn die Werbung auf Pflegeprodukte ausgedehnt wird, die aufgrund ihrer Zusammensetzung gar keine Konservierungsstoffe benötigen. Das trifft auf reine pflanzliche Öle, Massageöle, Oleogele alias Lipogele, ätherische Öle, Puder und andere wasserfreie Präparate zu. Häufig werden Konservierungsstoffe in diesem Zusammenhang noch spezifiziert, wie "ohne Parabene" etwa. Es wird damit eine Information präsentiert, die für das Produkt und seine Eigenschaften keinerlei Bedeutung hat, weil sie selbstverständlich ist. Das in der Küche verwendete Olivenöl wird auch nicht konserviert.
Wenn zu einer wasserhaltigen Öl-in-Wasser-Emulsion die gleiche Angabe "ohne Parabene" gemacht wird und es werden andere Konservierungsstoffe der KVO verwendet, ist auch dies nicht in Ordnung. Denn die Konsumenten werden darüber hinweggetäuscht, dass das Allergierisiko nun von vergleichbaren Stoffen ausgeht. Oder es wird ein "Antioxidans" verwendet, dessen "Nebenwirkung" die Paraben-ähnliche Konservierung ist – Beispiel: Hydroxyacetophenone (INCI).

Extrakte

Nach wie vor gibt es immer noch Präparate, die wässrige, konservierte Komponenten, in der Regel Extrakte, enthalten, die mit ihrem "Carry-over"-Effekt das gesamte Produkt konservieren, welches "ohne Konservierungsstoffe" deklariert wird. Eine andere, nicht unübliche Variante findet man in Online-Shop-Bereichen von Kosmetika und Medizinprodukten, indem "ohne" behauptet wird, die versteckte oder gar nicht gezeigte INCI aber "mit" ausweist.
Nun sollte man meinen, dass solche Ausreißer von den für die Kosmetika zuständigen Untersuchungsämtern rasch entdeckt werden. Das ist aber nicht der Fall: Die Ämter messen bei ihren Stichproben hauptsächlich die Keimbelastungen, beurteilen die hygienische Verpackung und suchen gegebenenfalls nach gerade aktuellen verbotenen Stoffen, wie z. B. Schwermetallgehalten. Oder sie überprüfen die Überschreitung zulässiger Konzentrationen eines in der INCI deklarierten Stoffes wie Salicylsäure (2%) und das Vorhandensein entsprechender Warnhinweise (nicht für Kinder unter 3 Jahren).

Duftstoffe

Die letztgenannte Salicylsäure ist ein Beispiel, wie sich aus einer zweifellos bei Konsumenten möglichen Salicylsäure-Intoleranz ein Geschäftsmodell entwickeln kann, indem Präparate offeriert werden, die eine absolute Salicylsäure-Freiheit garantieren.
Da Salicylsäure in pflanzlichen Ölen und Extrakten in Spuren nicht ausgeschlossen werden kann, kommt den Betroffenen die "ohne"-Angabe sehr entgegen. Andere wiederum, die nur davon gehört haben und den Hintergrund gar nicht kennen, möchten kein Risiko eingehen. Die meisten Inhaltsstoffe und Produkte enthalten allerdings keine Salicylsäure und es fehlen Daten, wo und ab welcher Konzentration Spuren tatsächlich relevant sind. Anders verhält es sich mit Duftstoffen, die Ester der Salicylsäure wie Amyl-, Benzyl-, Methyl Salicylate und Salicylaldehyde (INCI), eine Vorstufe der Salicylsäure, enthalten. Diese Komponenten sind gemäß Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 deklarationspflichtig.

Hilfsstoffe

Neben Konservierungsstoffen dienen Hilfsstoffe der Oxidationsstabilität, der physikalischen Stabilisierung von Emulsionen, der Erleichterung von Verteilbarkeit und der Verbesserung der Konsistenz, Haptik und Sensorik. Sie haben gegebenenfalls Eigenschaften, die physiologisch und/oder ökologisch nicht wünschenswert sind. Auf sie wird dann gerne hingewiesen, wenn sie nicht in der Rezeptur und somit auch nicht in der INCI stehen.

  • Komplexbildner inaktivieren pro-oxidative Schwermetallspuren in Kosmetika. Soweit es sich etwa um Citrate oder Phosphate handelt, die biologisch abbaubar bzw. physiologisch sind, machen "ohne"-Angaben wenig Sinn. Anders verhält es sich mit der expliziten Nennung schwer abbaubarer nichtphysiologischer Vertreter wie EDTA, die indirekt Oxidoreduktasen der Epidermis und des Hautmikrobioms beeinflussen.
  • Emulgatoren können irritieren, Hautbarriere-Bestandteile auswaschen und sind in der Epidermis möglicherweise biologisch nicht abbaubar. Bis auf den Abbau sind diese Eigenschaften direkt abhängig von der Größenordnung der jeweiligen kritischen Mizellbildungskonzentration (CMC).
    Die CMC des stark irritierenden Sodium Lauryl Sulfate (INCI) beträgt z. B. 7,2 x 10-3 mol/l (bei 25 °C), die des Sodium Laureth-3 Sulfate (INCI) 0,70 x 10-3 mol/l und die des hydrierten Phosphatidylcholins (PC-H) etwa 4,6 x 10-10 mol/l. PC-H ist physiologisch und Bestandteil von Zellmembranen, bildet zusammen mit Lipiden lamellare Strukturen in wasserhaltigen Cremes aus, irritiert nicht und zeigt auch keinen Auswascheffekt. Diese Cremes werden "ohne (konventionelle) Emulgatoren" beschrieben.
  • Polyethylenglykole (PEGs) sind schwer abbaubar, nicht physiologisch und bilden mit Luftsauerstoff irritierende Peroxide, sofern sie nicht mit meist synthetischen Antioxidantien (z. B. Butylhydroxytoluol, BHT [INCI]) kombiniert werden. Sie gehören zu Konsistenzmitteln, Emulgatoren und Filmbildnern, sind in Kosmetika reichlich vertreten und finden sich daher häufig in der "ohne"-oder "frei von"-Werbung.
  • Filmbildner und Konsistenzgeber bestehen neben biologisch abbaubaren Polysacchariden wie Stärke, Cellulose, Xanthan Gum und ihren Derivaten durchweg aus Acrylat-Polymeren, die im Zusammenhang mit Mikroplastik diskutiert wurden. Doch ihre in Wasser gelöste hydrophile Form unterscheidet sie grundlegend von festem, lipophilem Mikroplastik. Acrylate werden zwar nur langsam, aber durch ihre Esterstruktur ungleich schneller durch Mikroorganismen und chemisch-physikalische Einflüsse zersetzt als feste Mikroplastik-Kügelchen, die aus Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP) bestehen. Es findet keine Schadstoff-Adsorption statt. Ein "ohne Mikroplastik"-Claim bezogen auf diese Verbindungen erscheint daher gegenwärtig nicht gerechtfertigt.
  • Farbstoffe sind wie Duftstoffe in Kosmetika weiter rückläufig. Die "ohne"-Werbung bezieht sich auf nichtphysiologische, synthetische Vertreter, wie beispielsweise die Azofarbstoffe des Anhang IV der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009. Sie werden auch in Lebensmitteln verwendet, obwohl man weiß, dass sie durch Azoreduktasen der Leber, durch Darmbakterien und exogene Mikroorganismen in karzinogene aromatische Amine gespalten werden können.
  • Amine, die in der Vergangenheit zur Neutralisation von anionischen Emulgatoren genutzt wurden, sind weitgehend durch Alkalien ("Sodium", "Potassium" [INCI]) ersetzt worden. Amine wie Triethanolamin und insbesondere dessen Verunreinigung Diethanolamin können mit den Stickstoffoxiden der Luft oder Nitrit-abspaltenden Ingredienzien zu karzinogenen Nitrosaminen reagieren. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die "frei von Aminen"-Werbung letztendlich zu einer Elimination geführt hat.

Wirkstoffe

Selbst unter den Wirkstoffen gibt es Substanzen, die man besser ersetzen sollte, da sie biologisch nicht abbaubar sind. Darunter befinden sich zumeist langkettige Verbindungen.

  • Paraffine und Wachse auf Mineralölbasis: Sie finden in Hautfeuchte-erhöhenden Cremes und medizinischen Salben Verwendung, da sie den transepidermalen Wasserverlust radikal senken und durch ihre okklusive Wirkung die topische Resorption von Arzneistoffen verbessern. Aus ihren nichtphysiologischen Eigenschaften, zu denen auch die Hemmung der Eigenregeneration der Haut gehört, resultieren die "ohne Mineralöle"- oder "ohne Paraffine"-Produktbeschreibungen.
  • Silikone: Chemisch handelt es sich dabei um Silikone, Siloxane und Polysiloxane. Sie sind biologisch nicht abbaubar. Langkettige Verbindungen unter ihnen ähneln den Paraffinen. Daraus ergibt sich die "ohne Silikone"-Werbung.
  • Ein interessantes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist "ohne Aluminium Chlorohydrate" bei Deos und Antitranspirant-Produkten, in denen jedoch Aluminium Sulfate und Potassium Aluminium Sulfate (INCI) als Ersatzstoffe verwendet wurden. Das ist eine grobe Irreführung der Verbraucher, da der Aluminiumgehalt das entscheidende Kriterium für die seinerzeit postulierten und später widerlegten Nebenwirkungen war.

Tierversuche

Auch hier gibt es immer wieder die Werbung "ohne Tierversuche". Tierversuche mit Kosmetika sind abgesehen von der bindenden Reach-Verordnung (Chemikaliengesetz) EU-weit seit 2004 verboten. Seit 2009 dürfen auch einzelne Kosmetikinhaltsstoffe nicht mehr an Tieren getestet werden. Letzte Ausnahmen wurden 2013 verboten. "Ohne tierische Inhaltstoffe" kann allerdings von Produkten behauptet werden.

Dr. Hans Lautenschläger

 


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veröffentlicht in
Medical
2024 (2), 20-23

 
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