Wenn man Produktbeschreibungen der Hersteller liest, gibt es nur Kosmetika mit ausgesuchten Inhaltsstoffen und einzigartigen Wirkungen. Mit anderen Worten, der Informationsgehalt ist gering und gibt keine wirkliche Antwort auf die Frage, ob ein Präparat im Einzelfall geeignet ist. INCI-Codes... Woher bekommt man die Information, welche Stoffe überhaupt verwendet werden, um daraus Schlüsse auf Verträglichkeit, Wirksamkeit und Umwelteigenschaften zu ziehen? Die Quelle für die Zusammensetzung von Kosmetika ist die INCI-Codierung (International Nomenclature of Cosmetic Ingredients), die europaweit gültig ist. Danach wird den Herstellern vom Gesetzgeber vorgeschrieben, alle Inhaltsstoffe mit den von der EU festgelegten Bezeichnungen in abnehmender Konzentration auf der Packung aufzulisten. Ab Konzentrationen unter 1% können die Hersteller die Reihenfolge selbst wählen. Allergene Duftkomponenten, die bereits unter der Bezeichnung "Parfum" subsumiert sind, werden am Ende der INCI-Liste nochmals einzeln aufgeführt. Bei umfangreichen INCI-Listen ist es schwierig abzuschätzen, wo sich die 1% Grenze befindet. Dementsprechend fällt es nicht leicht, die Effektivität einzelner Wirkstoffe vorauszusagen. Extrakte, die nicht selten eine Vielzahl von Einzelkomponenten enthalten, lassen sich ebenfalls schwer einschätzen. Aber auch Bezeichnungen von synthetischen Verbindungen, wie z. B. "Dimethicone", sind nicht eindeutig. Es können sich dahinter kurz- und langkettige Silikone mit gänzlich unterschiedlichen Eigenschaften verbergen. Man muss über viel Erfahrung verfügen, um aus der Kombination von Bezeichnungen spezielle Merkmale zu erkennen, ob etwa eine Formulierung mit Penetrationsverstärkung vorliegt, bei der eine vergleichsweise niedrige Wirkstoffkonzentration bereits eine hohe Effektivität zeigt. Eine einfache Faustregel lautet, dass die Wahrscheinlichkeit von Unverträglichkeitsreaktionen mit der Anzahl der Ingredienzen, insbesondere der Extrakte, wächst. ...erfordern viele Kenntnisse Das heißt, grobe Abschätzungen von Rezepturen sind möglich, eine dezidierte Bewertung der Qualität eines Produktes jedoch nicht. Zu den Kuriositäten des INCI-Systems gehört es, dass es ursprünglich für die Endverbraucher konzipiert wurde, die es aber am wenigsten verstehen. Selbst Mediziner und Chemiker sind damit überfordert. Während Konservierungsstoffe und Pigmente vielleicht noch geläufig sind, geben vor allem die vielen Hilfsstoffe Rätsel auf. Um beispielsweise Emulgatoren, Konsistenzmittel und Komplexbildner zu erkennen, ihre biologische Abbaubarkeit und physiologische Verträglichkeit einzuordnen, bedarf es großer fachlicher Kenntnis oder zusätzlicher Informationsquellen. Hinzu kommt, dass die INCI-Angaben auf den Hersteller-Webseiten vielfach spärlich sind oder ganz fehlen. So erfahren die Konsumenten die Zusammensetzungen häufig erst auf der Packung im Laden. Die dortige Beratung hält sich ebenfalls in Grenzen, denn das Wissen über Zusammensetzungen ist gering und beschränkt sich meist auf die verkäuferseitige Bemerkung, das Produkt selbst mit Erfolg zu verwenden. Was also tun, wenn keine Vertrauensperson zur Hand ist, die verlässlich informieren kann? Mehr Information in den Medien Das Netz bietet heute eine Reihe von Medien, die über Kosmetika berichten und Erfahrungen veröffentlichen. Dazu gehören private und kommerzielle Blogs, soziale Medien und nicht zuletzt die Kanäle des Verkaufsfernsehens. Da sich die Hersteller dieser Werkzeuge selbst mit Erfolg als Werbeträger bedienen, Blogger mit Produkten sponsern und mitunter manipulierte Kundenbewertungen bei Versandfirmen unterbringen, scheiden diese Medien meist als objektive Informationsquellen aus. Kosmetik-Portale Die schwer zu überschauende Situation machen sich Portale zunutze, die nach Eingabe des Produktnamens, der INCI, des Strichcodes oder einer einzelnen INCI-Bezeichnung eine Bewertung liefern. Die Portale scheinen auf den ersten Blick praktisch, informativ und objektiv zu sein, sie sind es vielfach aber nicht, wenn man hinter die Kulissen schaut. Die Gründe sind vielfältig: - Die Bewertungen von Inhaltsstoffen müssen von den Portalen für die Normalbürger kurz und bündig dargestellt werden. Das führt zwangsläufig zu Vereinfachungen auf Kosten der Information. Das kann so weit gehen, dass für das Gesamtprodukt nur noch verschiedenfarbige Smileys stehen oder eine (segmentierte) Ampel, die zwischen "gut" (grün), "schlecht" (rot) und "fraglich" (gelb) unterscheidet - gegebenenfalls mit Kurzkommentaren zu den Abwertungen. Dabei entstehen Fehler. Beispiel: Ein Produkt wird abgewertet, weil es "Caprylic/Capric Triglyceride" enthält, das möglicherweise aus Palmöl hergestellt wird. Es wird ausgeblendet, dass die Komponente auch aus Kokosöl stammen kann.
- LOHAs (Lifestyle Of Health And Sustainability = Lebensstil, geprägt durch Gesundheitsbewusstsein und Nachhaltigkeit), Vegetarier und Veganer, jüdisch und muslimisch orientierte Menschen, Allergiker und Hautkranke erwarten spezifische Informationen. Das können die Portale naturgemäß nicht leisten, da ihnen der Einblick in Herstellung und Provenienz der Komponenten (Kriterien: tierisch, pflanzlich, halal, koscher etc.) im Detail fehlt. Zu entsprechenden Fragen muss man die Hersteller kontaktieren und ihren Antworten vertrauen.
- Häufig findet man kontrovers diskutierte Ingredienzien wie etwa Aluminium, Palmöl, Formaldehydabspalter, Parabene, Mikrokunststoffe, Alkohol, Mineralöle (Paraffine), Silikone und Nanopartikel, die zu einer Abwertung führen, selbst wenn die Studienlage widersprüchlich oder die nicht unwesentlichen Konzentrationen, z. B. beim Alkohol, unbekannt sind. Die Bewertungen beruhen auf "enthalten"- oder "nicht enthalten"-Einordnungen, kennen keine Grauzonen und sind diesbezüglich nicht frei vom Mainstream der öffentlichen Meinungen.
Aufbau der Datenbanken Manche Portale etablieren ihre Produktdatenbank, indem die Nutzer Produkte und Zusammensetzungen eingeben, und gehen davon aus, dass die Hersteller korrigierend eingreifen. Das ist kostensparend, beinhaltet allerdings sehr viele Fehler durch unprofessionelle (Mehrfach-) Eingaben, fehlende Korrekturen und nicht stattfindende Aktualisierungen veralteter Angaben, wenn sich etwa Zusammensetzungen geändert haben. Die neben der Suchmaske oder dem Suchergebnis platzierte Werbung für Alternativprodukte ist der eigentliche Kern des Geschäftes. Portale können sich auch aus Mitgliederbeiträgen finanzieren. Ohne die Beiträge zu entrichten, haben die Leser keinen Zugriff auf die Detail-Bewertungen. Zusammen mit der Pflege der Produktdatenbank durch die Mitglieder ergibt sich daraus ein Selbstläufer für die Betreiber. Die vielseitigen Motivationen der Portale reichen vom gemeinnützigen Verbraucherschutz in eigener Sache über Ökologie, Naturschutz, Verkauf von Werbung durch angeschlossene Agenturen bis hin zur Verbandsarbeit von Kosmetikherstellern. Dabei dominieren die werbefinanzierten und durch Hersteller gesponserten Geschäftsmodelle. Es ist daher ratsam, wenn es um die Objektivität geht, sich vor Benutzung eines Portals im Impressum über die Gesellschafter, deren geschäftsmäßige Vernetzungen sowie den Standort zu informieren, der sich nicht selten im Ausland befindet. Die eigenen Interessen der Betreiber schlagen sich in der Qualität der Informationen nieder. Digitale Routinen Portale beziehen die Stoffdaten in der Regel aus externen Datenbanken, die von den Betreibern selten offengelegt werden. Die Aktualität der Bewertungen ist daher von der Organisation der verlinkten Stoff-Datenbanken abhängig. So kann es passieren, dass eine Produktkomponente nicht bewertet wird, weil sie in der Stoffdatenbank nicht enthalten ist oder die EU z. B. den Code eines Extraktes oder eines Stoffes gerade geändert hat und dieser nicht aktualisiert wurde. Daraus resultieren Unterschiede beim Vergleich von Portalen. Da hinter den Portalen digitale Routinen arbeiten, kann man auf sachspezifische Fragen an ihre Mitarbeiter(innen) in der Regel keine Antworten erwarten. Sie betreuen die Technik und sind allenfalls für die Behebung von Störungen zuständig. Manche Portale schließen die Annahme von Zuschriften und Auskünfte auf ihren Seiten explizit aus. Nur wenig Wissenschaft Aufgrund der unterschiedlichen Informationsgehalte konkurrieren Portale nicht nur, sondern tragen auch handfeste Kritik untereinander öffentlich aus. "Faule Tricks", "Fake", "willkürlich zusammengestellte Kriterienkataloge", "fehlender wissenschaftlicher Hintergrund" sowie Androhung und Einsatz von Rechtsmitteln gehören dabei zum Vokabular - leicht zu finden, wenn man den Namen eines Portals als Stichwort und sinngemäße Begriffe wie "Kritik", "Irreführung", "seriös" in die Suchmaschinen eingibt. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die konträren Bewertungen von ein und demselben Portal durch Tageszeitungen und Fachjournale. Eine große Bandbreite der Meinungen über Kosmetikinhaltsstoffe findet man im Übrigen auch bei den Kosmetik-Ratgebern in Form von Büchern. Ratsuchenden ist daher zu empfehlen, sich mindestens über eine zweite oder dritte Quelle zu informieren... Neutrale Datenbanken ...und im Zweifelsfall, wenn es um Eigenschaften von Einzelkomponenten geht, in einer der frei zugänglichen wissenschaftlichen Datenbanken der EU, des Bundes und anderer neutraler Institutionen zu recherchieren: https://ec.europa.eu/growth/sectors/cosmetics/cosing_de https://ec.europa.eu/health/scientific_committees/consumer_safety/opinions_en http://www.bfr.bund.de/de/gesundheitliche_bewertung_von_kosmetischen_mitteln-242.html https://echa.europa.eu/de/information-on-chemicals https://www.cir-safety.org/ingredients http://www.cosmeticsinfo.org https://toxnet.nlm.nih.gov http://www.ifraorg.org/en-us/standards http://www.efsa.europa.eu/de https://www.ewg.org/skindeep https://pflanzen.fnr.de/industriepflanzen/arzneipflanzen/pflanzen https://www.awl.ch/heilpflanzen Siegel & Zertifikate Ergänzend ist zu bemerken, dass man sich auch nicht blind auf Qualitätssiegel und Zertifikate verlassen sollte: - Siegel betr. Tierversuche dienen ausschließlich der Werbung und den Geldeinnahmen der damit befassten Organisationen und Firmen. Tierversuche sind gemäß der Europäischen Kosmetikrichtlinie in allen Mitgliedsländern verboten. Auch Importware fällt unter diese Regelung.
- Naturkosmetik und Bio-Produkte werden vielfach als solche zertifiziert, auch wenn gewisse Prozentsätze nicht natürlichen Ursprungs sind (z. T. mehrstufige Zertifizierung). Darüber hinaus bieten "Natur" und "bio" keine Garantie hinsichtlich der Verträglichkeit und schon gar nicht die Gewähr, dass die Komponenten zur Physiologie der Haut passen.
- Organisationen, bei denen Kosmetikfirmen Mitglied werden können, stellen eigene Regeln zu verwendeten Stoffen und Zusammensetzungen auf und vergeben Siegel über deren Einhaltung. Verbraucher sollten prüfen, ob die Zielsetzungen ihren Wünschen entsprechen.
Profiteure von Siegeln und Zertifikaten sind die vergebenden Institutionen, die werbenden Hersteller und selten die zahlenden Verbraucher. Fazit Apps zu Portalen, Siegeln und E-Books sind bequem - keine Frage. Wer aber auf ungefilterte und neutrale Informationen über Kosmetika und Inhaltsstoffe Wert legt, sollte nach wie vor die Mühe nicht scheuen, sich Wissen anzueignen und zu versuchen, selbst zu recherchieren und zu urteilen, anstatt es anderen zu überlassen. "Wer nichts weiß, muss alles glauben" ist ein Zeichen der Zeit, aber keine gute Alternative. blau: www.beautyforum.com online
Dr. Hans Lautenschläger |