Elementarem Schwefel (S) begegnen wir zum Beispiel in der Nähe von Vulkanen. So hängen in einer Grotte am Rande des Solfatara-Kraters westlich von Neapel zentimeterlange gelbe Schwefelnadeln an den Wänden. Die Grotte, die durch den einstigen Vulkan beheizt wird, dient heute wie zu Römerzeiten als Natursauna. Zusammen mit dem benachbarten, Glaubersalz-reichen Thermalbad ist sie ein Inbegriff natürlicher Wellness. Glaubersalz ist das Natriumsalz der Schwefelsäure. Es besitzt eine leicht abführende Wirkung und kommt in vielen Mineralwässern vor.
Antiseptisch und konservierend
Schwefel ist Bestandteil der Arzneibücher. Als mikronisiertes gelbes Pulver wird er in pharmazeutische Basiscremes oder Vaseline eingearbeitet. Er hat eine antiseptische Wirkung bei Akne. Man vermutet, dass der Schwefel durch langsame Einwirkung des Luftsauerstoffs zu Schwefeldioxid aufoxidiert wird, das auf Mikroorganismen einwirkt. Beschrieben sind auch antiparasitäre und keratolytische Wirkungen. Schwefeldioxid (SO2) entsteht bei der Verbrennung von Schwefel. Es ist ein stechend riechendes Gas, das früher häufig zur Desinfektion – unter anderem von Weinfässern genutzt wurde. Heute setzt man zu diesem Zweck hauptsächlich die durch Reaktion von Schwefeldioxid mit Wasser entstehende Schweflige Säure in Form ihrer Natriumsalze (Sulfite, Bisulfite) ein. Auf Weinetiketten findet man dann den Hinweis „Enthält Sulfit“. In Lebensmitteln (Säfte, Trockenfrüchte) wird ebenfalls das antioxidative und antimikrobielle Potential genutzt, wobei letztendlich durch Oxidation auch Spuren von Schwefelsäure entstehen. In der Kosmetik sind Sulfite unter Einschränkung (max. 0,2 Prozent SO2) als Konservierungsstoffe zugelassen. Schwefelsäuresalze (Sulfate) sind die Schwefelquelle für pflanzliche und tierische Organismen. Dazu gehört neben dem Natriumsulfat vor allem das Calciumsulfat (alias Gips), das für die Permanent-Härte des Trinkwassers zuständig ist. Aus Tonerde (Aluminiumoxid) und Schwefelsäure entstehendes Aluminiumsulfat lässt sich analog zum Aluminiumchlorid zu antiseptischen Mundspülungen oder Antitranspirantien verwenden. Aluminiumsulfat bildet mit Kaliumsulfat ein Doppelsalz – den Alaun. Er bildet große farblose Kristalle, die früher ein probates Mittel waren, beim Nassrasieren kleine Blutungen zu stillen. Die adstringierende und antiseptische Wirkung beruht auf der Denaturierung (Ausfällung) von Proteinen durch die Aluminium-Ionen. Natriumthiosulfat – als Fixiersalz in der Fotographie bekannt – ist ein Antidot bei Blausäurevergiftungen und Bestandteil von Schwefelbädern. In Bädern und im schwach saurem Milieu der Haut werden elementarer Schwefel und in Spuren Schwefelwasserstoff freigesetzt. Thermal-Quellen können ebenfalls Natriumthiosulfat oder Schwefelwasserstoff enthalten. Ihr Anwendungsgebiet sind unter anderem rheumatische Leiden. Die zu beobachtende Steigerung der Hautdurchblutung ist vermutlich auch hier auf den Gehalt oder die intermediäre Bildung von Schwefelwasserstoff zurückzuführen. Ältere Publikationen beschreiben den Einsatz von Natriumthiosulfat in Salben gegen Psoriasis und Parasiten.
Schwefelsäureester
Die Pflanzen- und Tierwelt baut Sulfate in körpereigene Stoffe ein. Dabei synthetisieren Sulfatasen Schwefelsäureester, die von diesen Enzymen umgekehrt auch wieder gespalten werden können. Sulfotransferasen bilden durch Übertragung der Sulfogruppe ebenfalls Sulfatester. Beispiele für physiologische Schwefelsäureester:
- Heparine sind gerinnungshemmende Polysaccharide, deren einzelne Einheiten mehr oder weniger mit Schwefelsäure verestert sind. Sie sind Bestandteil der extrazellulären Matrix und bedingen deren mechanische Belastbarkeit.
- Cholesterylsulfat ist der Schwefelsäureester des Cholesterins. Er ist am Aufbau der Haare und an den Hautbarrierelipiden beteiligt.
- Als Chondroitinsulfat bezeichnet man verschiedene Mucopolysaccharide, deren N-Acetylgalactosamin-Einheiten mit Schwefelsäure verestert sind. Die polymere Substanz ist für die hohe Belastbarkeit des Knorpelgewebes verantwortlich. Das teilsynthetische Chondroitinpolysulfat ist Bestandteil entzündungshemmender Hautsalben.
Vertreter synthetischer Schwefelsäureester sind das Natriumlaurylsulfat (INCI: Sodium Lauryl Sulfate), das als Tensid in Reinigungsmitteln eingesetzt wird und für seine Hautreizungen bekannt ist, und das diesbezüglich wesentlich besser verträgliche Natriumlaurylethersulfat (INCI: Sodium Laureth Sulfate). Das Natriumsalz des Cetylsulfats ist ein typischer anionischer Emulgator für O/W-Präparate.
Peptide und Vitamine
Nicht alle Organismen sind in der Lage, die von ihrem Körper benötigten Schwefelverbindungen allein aus anorganischen Sulfaten zu synthetisieren. So ist der Mensch beispielsweise auf die essenzielle, schwefelhaltige Aminosäure Methionin angewiesen, die er unter anderem via Homocystein in Cystein umwandelt. Cystein wird in Proteine eingebaut und ist eine der Voraussetzungen für deren Tertiär- und Quartärstruktur, indem die Sulfhydrylgruppen (-SH) zweier Cystein-Reste oxidativ über eine Disulfid-Brücke (-S-S-) zum Cystin vernetzt werden. Da etwa 11 Prozent des Keratins der Haare aus Cystin bestehen, kann man die umgekehrte Reaktion zur Herstellung von Dauerwellen nutzen. Die Disulfidbrücken der Haare werden mit Thioglykolsäure gelöst, womit die Haare ihre Steifigkeit verlieren. Nachdem sie durch Lockenwickler fixiert sind, werden die Disulfidbrücken oxidativ (mit Wasserstoffperoxid oder Luft) wiederhergestellt. Das Haar versteift sich wieder und behält die "gewickelte" Struktur. Viele schwefelhaltige Peptide und Proteine besitzen reduktive Eigenschaften und sind als Antioxidantien, reduzierende Enzyme und Oxidoreduktasen wirksam. Beispiele sind Ferredoxine, Thioredoxine und Glutathion (Gamma-L-Glutamyl-L-Cysteinyl-Glycin). Die an vielen enzymatischen Prozessen beteiligte Liponsäure hat ebenfalls Antioxidans-, Radikalfänger- und Coenzym-Eigenschaften. Coenzym A enthält ebenfalls Schwefel, überträgt Fettsäurereste und baut Fettsäuren ab. Die Reaktionen verlaufen über die energiereiche Bindung der Fettsäuren an einer freien Sulfhydrylgruppe.
Zu den schwefelhaltigen Vitaminen gehören:
- Thiamin (Vitamin B1). Es dient in der Kosmetik zur Behandlung unreiner Haut.
- Biotin (Vitamin B7) ist am Aufbau von Enzymen des Aminosäure- und Fettstoffwechsels beteiligt. Mangelerscheinungen sind Störungen des Haarwuchses, der Nägel und der Haut.
Düfte und Gerüche
Schwefelverbindungen aus Zwiebel, Knoblauch, Bärlauch und Co. sind geruchsintensiv. Extrem niedrig ist die Geruchsschwelle beim Thioterpinol der Grapefruit (2 x 10-8 mg/kg Wasser). Schwefelhaltige Körpernoten in Form von Thiolen, Thioethern und Thioestern werden von Bakterien der Fußhaut erzeugt, denen man nur durch Beseitigung des feuchten Milieus oder mit Bakteriziden beikommen kann. Beim Kochen oder Backen entstehen durch die Maillard-Reaktion (nicht-enzymatische Bräunungsreaktion) angenehm riechende Aromen aus schwefelhaltigen Nahrungsbestandteilen wie Cystein, Cystin, Methionin und Thiamin. Schwefelwasserstoff (H2S) kommt im Körper in geringen Mengen als gefäßerweiternder Botenstoff vor. Er wird z. B. bei der Umwandlung von Cystein in Serin (beides Aminosäuren) freigesetzt. Einige anaerobe Bakterien und Archaeen (Einzeller) erzeugen Schwefelwasserstoff aus Sulfaten. Umgekehrt gewinnen schwefeloxidierende Bakterien ihre Energie aus der Oxidation von Schwefelwasserstoff, Schwefel oder Thiosulfaten zu Sulfaten.
Dr. Hans Lautenschläger
|