Samen, Blätter, Blüten, Wurzeln, Rinden und Harze der europäischen Natur sind reich an hochwirksamen Bestandteilen, die in der Medizin und Kosmetik verwendet werden. Ihre Historie reicht weit zurück in die Anfänge der Volksmedizin, deren Rezepte von Generation zu Generation weitergereicht und den jeweiligen Erkenntnissen angepasst wurden. Das gilt auch für die Techniken ihrer Gewinnung und Anreicherung.
Extraktion und Pressung
Bei der Extraktion von Pflanzenbestandteilen sind Lösungsmittel wie Wasser und Alkohol im kalten bis heißem Zustand vorherrschend. Ein Nachteil wässriger Extrakte ist ihre kurze Haltbarkeit, weshalb man die wässrigen Phasen entweder konserviert oder das Wasser durch Eindampfen, Sprüh- oder Gefriertrocknung entfernt. Die Konservierung und das Konzentrieren – letzteres setzt die thermische Stabilität der Wirkstoffe voraus – entfallen heute zunehmend zugunsten von Extraktionen mit flüssigem Kohlendioxid (CO2). Aus ihnen resultieren lagerstabile Trockenextrakte. Ätherische Öle haben meist eine (Wasserdampf-) Destillation hinter sich, während fette Öle nach der kalten Pressung des Pflanzenmaterials direkt verwendet werden oder nach der Pressung einen mehr oder weniger komplexen Raffinationsprozess durchlaufen. Auch Extraktionen mit Lösungsmitteln, wie etwa Aceton, die später abgezogen werden, sind bei fetten Ölen nicht unüblich. Sowohl die Gesamtextrakte mit ihren zahlreichen Komponenten als auch daraus isolierte Einzelstoffe werden in den späteren Präparaten verwendet. Beide Vorgehensweisen haben ihre Vorteile: Die Komponenten der Gesamtextrakte wirken mitunter synergistisch, während Einzelstoffe naturgemäß höher dosiert werden können. Die Standardisierung von Gesamtextrakten ist aufgrund saisonaler und ursprungstypischer Unterschiede mitunter schwierig. In diesen Fällen fokussiert man sich auf Leitsubstanzen, deren Konzentration konstant gehalten wird. Abhängig von den Gewinnungsprozessen ergeben sich spezifische Zusammensetzungen. Die folgenden Beispiele von Hanf, Ringelblume und Nachkerze mögen dies verdeutlichen. Hanf – Cannabis
Hanf (Cannabis sativa) ist eine vielfältig genutzte Pflanze. Sie liefert neben den noch heute zur Herstellung von Hanfseilen und Bindfäden genutzten widerstandsfähigen Fasern sowohl Extrakte als auch ein ätherisches und ein fettes Öl. Der für die Kosmetik wichtigste Rohstoff ist das aus den Samen gepresste Öl. Hanföl gehört zu den trocknenden Ölen und enthält hohe Anteile mehrfach ungesättigter, essenzieller Fettsäuren, hauptsächlich Linolsäure (etwa 50-60%), α-Linolensäure (etwa 10-20%) und einige Prozente γ-Linolensäure. Es wird in dieser Hinsicht nur von wenigen Ölen, wie dem Hagebuttenkern-, Lein- und Kiwikern-Öl übertroffen. Alle diese Öle haben entzündungshemmende Eigenschaften und können beispielsweise in nanodisperser Form die Bildung von Blasen nach der Berührung heißer Gegenstände weitgehend reduzieren. Im Umgang hochungesättigter Öle ist zu beachten, dass sie sich feinverteilt, z. B. auf Stoffresten und Papiervliesen, selbst entzünden können, da sie vom Luftsauerstoff leicht oxidiert werden. Die Bildung von ranzigem Geruch ist auf die gleiche Ursache zurückzuführen. Entgegen älterer Quellen enthält das Hanföl kein berauschendes Tetrahydrocannabinol (THC), allerdings nennenswerte Mengen (etwa 10 mg/kg) seiner vermutlichen Vorstufe Cannabidiol (CBD). Synthetisches, THC-freies CBD ist als Kosmetikinhaltstoff ohne Restriktionen zugelassen und wird in der CosIng-Datenbank der EU als sebumreduzierend, antioxidativ, hautkonditionierend und hautschützend beschrieben. Gegenüber Wirkstoffen mit vergleichbaren Eigenschaften bietet CBD aber keine Vorteile. Aus den oberirdischen Pflanzenteilen des Hanfes wird durch Wasserdampfdestillation ein ätherisches Öl gewonnen. Es enthält über 90% Mono- und Sesquiterpene in wechselnden Verhältnissen mit charakteristischem Geruch. Anwendungsgebiete sind die Aromatherapie, die Parfüm-Herstellung und die Mischung mit Massageölen. Aus den weiblichen Blüten extrahiertes Harz (Haschisch) enthält THC, CBD und weitere Cannabinoide. Die getrockneten Blüten bezeichnet man als Marihuana. Die Gehalte an psychotropen Substanzen variieren unter den einzelnen Hanfsorten. Das nicht psychotrope CBD wird unter anderem zu Medizinprodukten mit zuweilen esoterischen Ansprüchen verarbeitet.
Ringelblume – Calendula
Die Ringelblume (Calendula officinalis) hat eine lange Historie als Heilkraut hinter sich. Im Vordergrund stehen dabei vor allem topische, entzündungshemmende Behandlungen, die schon früh in Form von Extrakten der getrockneten Blütenstände durchgeführt wurden:
- Aufgüsse mit heißem Wasser
- Alkoholische und alkoholisch-wässrige Extrakte
- Mazerate – unter Verwendung fetter Öle wie Sonnenblumen- und Olivenöl
- Öle aus der CO2-Extraktion
Je nach Lösemittel und Verfahren unterscheiden sich Gehalte und Strukturen der Wirkstoffe. Für die entzündungshemmende Wirkung sind hauptsächlich pentacyclische Triterpene wie das Faradiol und das Taraxasterol und insbesondere ihre lipophilen Ester mit Säuren wie der Essigsäure (Acetate), Palmitinsäure (Palmitate) und Myristinsäure (Myristate) verantwortlich. Daneben finden sich in geringeren Konzentrationen Flavonoide wie das Quercetin sowie Carotinoide, die dem Farbspektrum der Ringelblumen von gelb bis orange entsprechen. Vorherrschende Säure in Extrakten der Samen sind Ester der Calendula-Säure (C18H30O2), einer dreifach ungesättigten trans-ω-6-Säure – mit im Gegensatz zur γ-Linolensäure (siehe Nachtkerzenöl) konjugierten Doppelbindungen. Samenextrakte haben für Dermatologie und Kosmetik keine Bedeutung. Die aus Blütenextrakten hergestellten Magen-Darm-Tees und die Ringelblumensalbe sind weit verbreitet.
Nachtkerze – Oenothera
Die Nachtkerze gehört zu den Nachtschattengewächsen. Aus ihrem Samen wird durch Kaltpressung ein fettes Öl gewonnen, dessen Triglyceride einen hohen Anteil Linolsäure sowie beträchtliche Mengen von γ-Linolensäure (etwa 10%) enthalten. Der γ-Linolensäure-Gehalt wird nur vom ebenfalls fetten Borretschöl mit etwa 20% übertroffen. Nachtkerzenöl hat wie andere, an essenziellen Fettsäuren reichen Öle topisch einen entzündungshemmenden Effekt. Traditionell wird es auf atopischer Haut angewandt. Atopiker mit einem Mangel des Enzyms Delta-6-Desaturase profitieren davon besonders, da ihnen die körpereigene Synthese der γ-Linolensäure aus Linolsäure fehlt. γ-Linolensäure ist ein essenzielles Glied in der Arachidonsäure-Synthese, deren Metaboliten wie Prostacyclin, Prostaglandine und Thromboxane lokal und hormonartig wirken. Die Wirksamkeit des Öls ist auf die topische Anwendung beschränkt. Oral, in Form von Kapseln, zeigt das Öl bei neurodermitischer Haut so gut wie keine Wirkung.
Große regionale Vielfalt
Regionale Öle und Extrakte werden in großer Vielfalt angeboten, wobei fette Öle, insbesondere als Nahrungsmittel, mengenmäßig an der Spitze stehen. Ätherische Öle nehmen einen kleineren Raum ein und werden eher aus wärmeren Regionen importiert. Harze alias Balsame wie beispielsweise Lärchenharz gehören bei uns zu den Raritäten, sind aber hinsichtlich ihres Wirkungsspektrums im Vergleich zu den exotischen Varianten nicht weniger interessant.
Dr. Hans Lautenschläger
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