Sowohl in der Tier- als auch in der Pflanzenwelt sind Ceramide weit verbreitet. Sie kommen innerhalb, aber auch außerhalb der lebenden Zellen vor. Die menschliche Haut enthält vor allem Ceramide in der "Kittsubstanz" zwischen den abgestorbenen Hornzellen des Stratum corneums, d. h. in der äußersten Hautschicht. Die "Kittsubstanz" ist schichtförmig in Form sogenannter Bilayer angeordnet. Ceramide sind in den Bilayern der Hornschicht fest verankert und bilden dort zusammen mit weiteren Hautbestandteilen die wichtigste natürliche Barriere. Die "Sperrschicht" setzt Fremdstoffen, wie z. B. Seifen und aggressiven Stoffen, einen hohen Widerstand entgegen. In ihrer Hautschutz-Funktion verhindern Ceramide vor allem die Austrocknung der Haut und das Eindringen von Fremdstoffen. Klassische Fälle für die Anwendungen ceramidhaltiger Präparate sind daher die trockene Haut und der Hautschutz im engeren Sinne, d. h. die Prävention von Hautstörungen und Hautkrankheiten. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Haarpflege, bei der Ceramide in die Haarzwischenräume integriert werden. Ceramide stehen daher im Blickpunkt physiologischer Kosmetika und Dermatika. Trotz ihrer Verbreitung ist aber ihre Isolierung und Verarbeitung in der Regel aufwendig. Eine häufig genutzte Quelle sind Hefen. Alternativ werden seit einiger Zeit eine Reihe "ceramidähnlicher", synthetischer Varianten verarbeitet, denen vor allem Wirkungen auf den Feuchtehaushalt der Haut zugeschrieben werden.
In Klassen eingeteilt
Die natürlichen Ceramide gehören zu einer artenreichen Familie von Stoffen mit einer Vielzahl biologischer Funktionen. Sie werden in verschiedene Klassen unterteilt, die mit römischen Ziffern gekennzeichnet sind und deren Vertreter wiederum im Detail variieren können. Neben dem Ceramid III ist vor allem das Ceramid I ein wichtiger Bestandteil der Bilayer des Stratum corneum. Für die Gesunderhaltung der Haut spielen auch biologische Folgeprodukte der Ceramide, die Sphingomyeline, sowie deren Abbauprodukte eine große Rolle. Wenn das natürliche Gleichgewicht dieser Stoffe gestört ist, kommt es zu trockener Haut oder zu krankhaften Hauterscheinungen wie Dermatosen, Neurodermitis oder auch Psoriasis. Erst kürzlich wurde von einem Abbauprodukt, dem Sphingosin-1-phosphat, berichtet, das die Zellproliferation der Psoriasis hemmt. Interessant ist auch, dass im Gleichgewicht zwischen Ceramiden und Sphingomyelinen ein altbekannter Vertreter, nämlich das Phosphatidylcholin eine wichtige Mittlerfunktion spielt. Phosphatidylcholin ist der Grundstoff von Liposomen und Nanopartikeln und ist für seine hervorragende Hautpflegewirkung bekannt. Eine Besonderheit des Ceramid I ist sein hoher Gehalt an Linolsäure, einer essentiellen Fettsäure, die der Körper unbedingt benötigt, die jedoch nur durch die Nahrung bzw. auf der Haut durch entsprechende linolsäurehaltige Präparate zugeführt werden kann. Fehlt diese Säure, kann das Ceramid I nicht gebildet werden und es kommt zu trockener, schuppiger Haut und Barrierestörungen wie Neurodermitis (atopische Dermatitis). Die Abnahme des Linolsäuregehaltes der Hornschicht ist nahezu ein Indikator für die atopische Dermatitis.
Penetration mit Hilfe von Transportsystemen
Die zur Zeit eleganteste Methode, die Haut mit Linolsäure anzureichern und die Bildung von Ceramid I zu fördern, besteht darin, Linolsäure in Form von Liposomen oder Nanopartikeln in die Haut einzubringen. Liposomen und Nanopartikel penetrieren sehr gut in die Hornschicht und bilden dort Depots aus. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Ceramide nach Extraktion aus der Haut zusammen mit anderen Hautbestandteilen liposomale Strukturen bilden können. Dies ist im übrigen ein Hinweis, warum Liposomen und Nanopartikel, die Phosphatidylcholin als Grundstoff enthalten, so gut von den natürlichen Hornschicht-Bilayern aufgenommen werden und die ursprüngliche Hautstruktur intakt bleibt. Hautpflegepräparate, die Emulgatoren enthalten, verändern die Bilayer und fördern das Auswaschen hauteigener Schutzstoffe bei der Hautreinigung, da die Emulgatoren in der Regel nach dem Einziehen in die Haut erhalten bleiben und unverändert wirksam sind. Es ist daher wenig sinnvoll, pflanzliche oder synthetische Ceramide in emulgatorhaltige Cremes und Lotionen einzubauen. Wenn überhaupt, dann sollten sie in emulgatorfreie Cremes integriert werden.
Von der Cold-Cream zu DMS
Der wohl älteste Vertreter emulgatorfreier Cremes ist die Cold-Cream, der modernste Vertreter die DMS-Creme (DMS = Derma Membrane Structure). DMS-Creme enthält ähnliche Struktureinheiten wie die Bilayer der Hornschicht. Daher sind Ceramide, DMS, Liposomen und Nanopartikel in nahezu allen Verhältnissen miteinander verträglich. Grundstoff der DMS-Creme ist ein Phosphatidylcholin, das keine Linolsäure, sondern die in der Hornschicht dominierende Palmitinsäure und Stearinsäure in veresterter Form enthält. Es zeigt dadurch interessanterweise ähnliche Eigenschaften wie die Ceramide. Es verankert sich in den Barriereschichten der Haut und ist wie die Ceramide sehr widerstandsfähig gegenüber äußerlich auf die Haut einwirkenden Stoffen. Auf abdeckende (okklusive) Bestandteile auf Mineralölbasis sollte bei diesem Konzept ganz verzichtet werden, da die Bildung der hauteigenen Hautschutzstoffe dadurch verlangsamt wird. Dies läßt sich leicht zeigen, wenn die Haut mit Tesafilm-Abrissen (Stripping) künstlich geschädigt wird. Während sich die Haut unter normalen Verhältnissen innerhalb von 24 h praktisch vollständig regeneriert, wird dieser Reparatur-Prozeß bei einer künstlichen Abdeckung der Haut stark verzögert.
Die hauteigene Bildung von Ceramiden unterstützen
Die Förderung der hauteigenen Bildung der Ceramide in ihrer natürlichen Zusammensetzung und Umgebung kann z. B. mit einer DMS erreicht werden, die zusätzlich linolsäurereiche Liposomen oder Nanopartikel enthält. Während DMS einen Sofortschutz aufbaut, erfolgt die Bildung von Ceramid I zeitverzögert durch die Freisetzung von Linolsäure aus Liposomen oder Nanopartikeln. Cremes mit diesem Prinzip haben sich hinsichtlich der Behandlung der trockenen Haut und der unterstützenden Prävention der Neurodermitis hervorragend bewährt.
Neuentwicklungen in Sicht
Da Ceramide und Phosphatidylcholin nicht nur bei Hautstörungen (Neurodermitis, Psoriasis), sondern auch bei der Alterung der Hautzellen eine Rolle spielen, ist in der Zukunft mit vielfältigen Neuentwicklungen zu rechnen. Eine Neuentwicklung zeichnet sich bereits ab: Oleogele, die wie die DMS-Cremes naturgemäß konservierungsmittelfrei sind, aber neben Phosphatidylcholin und essentiellen Fettsäuren einen noch höheren Fettanteil besitzen. Im Gegensatz zu traditionellen Oleogelen ziehen diese Gele sehr schnell in die Haut ein und wirken nicht fettig. Ihre spezielle Zusammensetzung ermöglicht erstmalig auch die stabile Einarbeitung wasserlöslicher Stoffe wie z. B. Harnstoff. Flüssige Vertreter der Oleogele eignen sich unter anderem für Ayurveda-Behandlungen, die zur Zeit bekanntlich eine große Nachfrage erfahren. Alles in allem scheint sich der Weg der indirekten Förderung der Ceramide in der Haut durchzusetzen. Damit zeichnet sich ein weiterer Meilenstein der dermatologischen Kosmetik ab.
Dr. Hans Lautenschläger |