In den ersten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg war viel Arbeit ohne Schutz der Hände üblich. Aufräum-, Freiland- und Hausarbeiten wie Wäschewaschen, Geschirrspülen und andere Reinigungsarbeiten führten insbesondere bei Frauen zu einer hohen Beanspruchung der Hände, aber auch der Füße. Haushaltsmaschinen und Automobilität waren für die meisten ein unerfüllter Traum. Irritationen und unbehandelte Verletzungen waren die Folge und führten unter anderem häufig zu Rhagaden an Händen und Füßen. Die sich aus kleinen Wunden bildenden, bis tief in die Lederhaut reichenden Einschnitte alias Rhagaden rissen immer wieder auf, infizierten und entzündeten sich und waren somit ziemlich langlebig. So kam es, dass die Jodtinktur damals in den Apotheken Hochkonjunktur hatte.
Individuelle Faktoren
Wer allerdings glaubt, dass es Rhagaden heute nicht mehr gibt, der irrt. Zwar gehören jetzt der Geschirrspüler und die Waschmaschine sowie das eigene Auto zur häuslichen Standardausrüstung, die Zusammensetzungen der Reinigungsmittel haben sich grundlegend verbessert und die Einmal-Handschuhe sind nicht mehr wegzudenken, doch andere Faktoren haben sich nicht geändert:
- Ständige Reinigung und Desinfektion der Hände, kombiniert mit nachlässigen Hautschutzmaßnahmen strapazieren die Hautbarriere nach wie vor berufsspezifisch. Pflege- und Reinigungskräfte, Mitarbeiter der metallverarbeitenden Industrie, die mit Bearbeitungsflüssigkeiten wie z. B. Kühlschmierstoffen arbeiten, und Feuchtarbeitsplätze1 sind davon betroffen – und nicht zuletzt das Friseur-, Maler- und Baugewerbe.
Oft ist der Hautschutz ungeeignet und das Handschuhmaterial der individuellen Situation nicht angepasst. Okklusiver Hautschutz im gewerblichen Bereich wurde bereits in den Neunzigerjahren kritisch gesehen, während sich die effektive Barriereregeneration in der arbeitsfreien Zeit vorteilhaft auswirkt2 – möglichst physiologisch zusammengesetzte Präparate vorausgesetzt. Jedoch ist dieser Paradigmenwechsel nicht überall angekommen und es kursieren immer noch Schutz- und Pflegecremes auf Paraffinbasis, die sich kontraproduktiv auf die Regeneration auswirken.
- Die Kondition der Hautbarriere wird durch Medikamente beeinflusst. Es ist kein Geheimnis, dass die Epidermis bei längerer, nicht nur topischer, sondern auch oraler Verwendung von Corticoiden empfindlicher wird und stärker auf aggressive exogene Stoffe reagiert – dazu gehört langanhaltender Wasserkontakt, bei dem es zu Auswaschungen und Quellungen kommt. Unbehandelt trocknet die Haut aus und reißt auch ohne äußerliche Verletzung ein.
Corticoide sind nur ein Beispiel von vielen. Praktisch jedes Medikament, darunter selbst freiverkäufliche Kopfschmerzmittel aus der Gruppe der NSAID, zeigen bei längerem Gebrauch Nebenwirkungen auf die Haut.3 Mit der Anzahl der Arzneimittel potenziert sich das Risiko.
- Neben Medikamenten wirken sich naturgemäß epidermale Störungen durch Atopie (Neurodermitis), Pilzinfektionen an den Füßen zwischen den Zehen, Schuppenflechte, Herpes, Diabetes und Chemotherapie (Hand-Fuß-Syndrom an Handinnenflächen und Fußsohlen) aus, um nur einige Beispiele zu nennen.
- Speziell an den Füßen sind Verdickung, Verhärtung und die damit verbundene Sprödigkeit der Hornschicht ein kritischer Punkt. Ursache sind etwa enge Schuhe, Übergewicht und Kälteeinwirkungen. Die Blutzirkulation ist häufig gestört.
- Durch nicht gepflegte oder anlagebedingte trockene Lippen kann es auch in den Mundwinkeln zu entzündlichen Hautrissen (Chelitis) kommen. Ein veränderter Hormonhaushalt kann dazu beitragen. Auch altersbedingt lässt die Elastizität der Epithelien allmählich nach.
Diese Einflüsse führen zu einer Vorbelastung der Haut und lassen sie anfälliger werden gegenüber Rhagaden, auch Schrunden oder speziell im Analbereich Fissuren genannt. Letztere entstehen durch verhaltenen und/oder harten Stuhlgang und der damit verbundenen Druckbelastung, die durch stundenlanges Sitzen gefördert wird. Die Beispiele zeigen umgekehrt zahlreiche Anhaltspunkte auf, an die präventiv zu denken ist. Ziel muss es sein, die Haut hinsichtlich Feuchtehaushalt, Fettstoffen und Elastizität in einem physiologischen Optimum gegen fortgesetzte äußere Einflüsse zu stabilisieren und letztere so weit wie möglich zu minimieren.
Gratwanderung zwischen Dermatologie und Kosmetik
Die Behandlung von Rhagaden ist grenzwertig, da es hier neben der kosmetischen Regeneration gegebenenfalls um dermatologische Therapie geht – also eigentlich genau das, was Albert M. Kligman seinerzeit als "Corneotherapy" definiert hat.4 Wenn die Hautpflege zum Verschwinden der Rhagaden Haut führt, verbietet die Kosmetikverordnung, den Begriff "Heilung" zu benutzen. Daran ist zu denken, wenn es um die Auslobung kosmetischer Produkte geht – also "Tu Gutes, aber sprich nicht darüber". Klinische Studien belegen diese Weisheit.5
Erste Maßnahmen
Im akuten Stadium ist der Spalt zu desinfizieren. Dafür gibt es heute statt der Jodtinktur freiverkäufliche, sprühbare Antiseptika mit antibiotisch wirksamen Stoffen wie etwa Octenidindihydrochlorid (INCI: Octenidine HCL) oder Polyaminopropyl Biguanide (INCI). Sofern möglich sollte die Wunde vorher mit einem milden Reinigungsmittel gesäubert werden. Dazu sind auch Lotionen oder Teilbäder (z. B. Fußbad; Sitzbad bei Analfissuren) geeignet, die adstringierenden Hamamelis-Extrakt, Epigallocatechingallat (EGCG; mit niedrigem pH-Wert) oder Tannine – hilfsweise Salbei, Kamille und Tee – enthalten. Sie ermöglichen gleichzeitig eine Erweichung der harten Kanten der Schrunden an Händen und Füßen und erleichtern deren vorsichtiges Wegschneiden. Nach dem Trocknen ist es wichtig zu verhindern, dass eine neue Spannung aufgebaut wird, die ein weiteres Einreißen des Spalts verursacht. Dazu bieten sich an:
- Pflaster und Verbände
- Selbsthaftende Gazebinden
- Medizinische Sekundenkleber (Gewebekleber)
- Medizinische Schutzlacke bei kleineren Defekten
- Verhinderung von Druck an den Füßen durch Wechsel des Schuhwerks und Abkleben um die Rhagade herum – ähnlich wie bei Fußblasen
Weitere Behandlungen
Wesentlich für die Regeneration ("Heilung") ist die Wiederherstellung des physiologischen Gleichgewichtes von Hautfeuchte und -fettung um die Rhagade herum, d. h. die Behandlung trockener, fettarmer Haut hat Priorität. Dazu eignen sich Emulsionen oder besser lamellar aufgebaute Cremes und Salben mit Barriere-identischen oder -ähnlichen Stoffen – ohne nicht-abbaubare synthetische Emulgatoren. Schäume und paraffinfreie Oleogele mit einem Minimum an Hilfsstoffen, aber ansonsten Barriere-affinen Stoffen wie langkettigen Fettsäuren, Phytosterinen und Ceramiden sind optimal – auch für Mundwinkelrhagaden (z. B. in Stift-Form) und anale Fissuren. Allerdings: Solange die Rhagade noch nässt, sind nur wässrige Lösungen und Phosphatidylcholin-enthaltende Liposomen oder Nanodispersionen anzuwenden.
Wirkstoffe
Manche in den Grundlagen verwendeten Wirkstoffe sind multifunktionell. Kombinationen sind häufig. Oft verwendet werden (alphabetische Reihenfolge):
- Allantoin hat aufgrund seiner amidischen Struktur ähnliche Wirkung wie Harnstoff und wird in niedriger Konzentration als regenerativ wirksam beschrieben.
- Aloe-vera-Gel hat antimikrobielle Eigenschaften, wirkt glättend, Hautfeuchte-stabilisierend und spannungsmindernd.
- Aminosäuren und Harnstoff, letzterer in niedriger Dosierung, erhöhen die Hautfeuchte.
- α-Bisabolol, der antimikrobielle Bestandteil des Kamillenextrakts, wird synthetisch hergestellt.
- Epigallocatechingallat (EGCG) ist ein Teebestandteil, der bei tiefem pH-Wert stabilisiert, adstringierend und regenerierend wirkt.
- Essenzielle Fettsäuren hemmen in Form von Lein-, Kiwi-, Hagebuttenkernöl, Phosphatidylcholin und ihren Metaboliten Entzündungen und werden am besten als wässrige Nanodispersionen appliziert.
- Extrakte von Kamille, Salbei, Calendula, Tee, Echinacea – wirken adstringierend und/oder antimikrobiell.
- Glycerin ist ein häufiger Begleitstoff und kann den in höheren Konzentrationen reizenden Alkohol ersetzen.
- Hyaluronsäure bildet einen oberflächlich glättenden, feuchtestabilisierenden und spannungsmindernden Film.
- Niacinamid (Vitamin B3) wird als regenerierend beschrieben.
- Panthenol penetriert gut in die Haut und regt die Zellneubildung an.
- Phosphatidylserin – ist antientzündlich und regenerierend.6
- Proteasehemmer wie Boswelliasäuren (Weihrauchextrakt) – wirken insbesondere bei Infekten entzündungshemmend.
- Vitamin-Cremes – mit Bestandteilen wie Vitamin-A-Estern, Ascorbic Acid Phosphate (INCI; Phosphorsäureester des Vitamin C) und Vitamin E-Estern – wirken bereits in niedrigen Konzentrationen auf vielfältige Weise regenerierend.
- Zinkoxidpasten werden bevorzugt bei Mundwinkelrhagaden eingesetzt.
Bei Fußrhagaden aufgrund spröder und verdickter Hornschicht werden präventiv auch keratolytisch wirksame Präparate verwendet. Sie enthalten im Gegensatz zu Hautfeuchte-stabilisierenden Präparaten beispielsweise hohe Harnstoffkonzentrationen oder/und Salizylsäure. Handschuhe: Wenn es um den Heilungsprozess geht, sind luftdurchlässige Handschuhe aus Baumwolle gut geeignet, da okklusive Bedingungen ähnlich wie bei Paraffin-haltigen Cremes die Regeneration verlangsamen.
Literatur
- TRGS 401, Gefährdung durch Hautkontakt: Ermittlung – Beurteilung – Maßnahmen, Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- P. J. Frosch, D. Peiler, V. Grunert, B. Grunenberg, Wirksamkeit von Hautschutzprodukten im Vergleich zu Hautpflegeprodukten bei Zahntechnikern – eine kontrollierte Feldstudie, J Dtsch Dermatol Ges. 2003; 1: 547-557.
- M. Fartasch, T. L. Diepgen, H. Drexler, P. Elsner, S. M. John und S. Schliemann, S1-AWMF-Leitlinie (Langversion) Berufliche Hautmittel: Hautschutz, Hautpflege und Hautreinigung ICD 10: L23, L24, Dermatologie in Beruf und Umwelt, Jahrgang 63, Nr. 2/2015, S. 47–74
- C. Symanzik et al., Hautmittel (Hautschutz, Hautpflege und Hautreinigung) im Betrieb. In: C. Skudlik, M. P Schön, S. M John. (eds) Berufsdermatologie. Springer, Berlin, Heidelberg, 2023, pp 167–188
- H. Lautenschläger, Einfluss von Arzneimitteln auf Haut und Hautpflege, Kosmetische Praxis 2009 (2), 11-14
- A. M. Kligman, Corneobiology and Corneotherapy – a final chapter, International Journal of Cosmetic Science 2011 (33), 197-209
- Tabata N, O'Goshi K, Zhen YX, Kligman AM and Tagami H, Biophysical assessment of persistent effects of moisturizers after their daily Applications: Evaluation of Corneotherapy, Dermatology 2000;200:308-313
- De Paepe K, Hachem JP, Vanpee E, Reseeuw D, Rogiers V., Effect of rice starch as a bath additive on the barrier function of healthy but SLS-damaged skin and skin of atopic patients, Acta Derm Venerol 2002;82:184-6
- H. Lautenschläger, Phosphatidylserin in der Hautpflege, Chemie in unserer Zeit 58 (2), 93-97 (2024); https://doi.org/10.1002/ciuz.202300005
Dr. Hans Lautenschläger |