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Reizlindernde Stoffe

 

Die Verträglichkeit kosmetischer Präparate ist ein Dauerthema - bei Verbrauchern wie bei Herstellern. Eine Rolle spielen die Hautkondition, das subjektive Empfinden und die objektiven Eigenschaften von Substanzen.

 

Wenn es um Reizungen der Haut geht, versucht man, die auslösenden Stoffe zu ersetzen oder ihre Konzentrationen zu senken. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Rezepturen Additive hinzuzufügen, die die Empfindlichkeit der Haut herabsetzen. Aber welche Inhaltsstoffe von Kosmetika reizen die Haut? Das lässt sich nicht beantworten. Stoffe lassen sich nicht pauschal in "reizend" und "nicht reizend" einteilen. Denn die Reizschwelle hängt von der Stoff-Konzentration sowie von Kondition und Empfindlichkeit der Haut ab. Jeder Mensch reagiert anders. Bei hochgradig barrieregestörter Haut können selbst als harmlos eingestufte Stoffe Rötungen, Juckreiz, Brennen, Schwellungen oder Entzündungen verursachen. Ausgeprägt sind diese Effekte bei der viel zitierten "sensiblen" Haut, die möglicherweise selbst auf Kälte, Wärme, Wind sowie auf mechanischen Druck und Zug anspricht. Bei als komedogen geltenden Stoffen wird man feststellen, dass ihre Schwellenkonzentrationen nicht nur von der Hautkondition, sondern auch von den Konzentrationen der übrigen Komponenten einer Rezeptur abhängen. Zu den Kandidaten, die bereits bei "normaler" Haut zu Reaktionen führen können, gehören Konservierungsstoffe, ätherische Öle und Duftstoffe, Emulgatoren und Tenside.
Kosmetikhersteller sind bestrebt, die Konzentrationen reizender Stoffe zu reduzieren, diese durch besser verträgliche zu ersetzen (Substitutionsprinzip) oder gar auf eine ganze Substanzgruppe zu verzichten. Wenn die Präparate etwa für die trockene Haut (= leichte Barrierestörung) bestimmt sind, werden leicht penetrierende Duft- und Konservierungsstoffe weggelassen. Diese Rezepturoptimierungen sind ein unendlicher, kontinuierlicher Prozess. Denn der Kenntnisstand über die Stoffeigenschaften wächst ständig, und durch kulturelle Einflüsse wird die Haut erfahrungsgemäß immer empfindlicher.
Um Reizungen jeglicher Art von vornherein zu minimieren, ist dem Anwender zu empfehlen, eine schlechte Kondition der Haut zu verbessern und damit die individuelle Reizschwelle nach oben zu verschieben. Bei barrieregestörter Haut gelingt das mit Pflegepräparaten, die sich an den Bestandteilen des Stratum corneums und des Sebums orientieren. Zudem hilft es, die Kontakte mit Tensiden zu minimieren. Um Auswascheffekte zu vermeiden, sollte die Hautreinigung reduziert werden. Bei der Arbeit mit Haushaltsreinigern sollte man besser Handschuhe verwenden.

In einem akuten Fall

Wenn sich die Haut in einem akuten, irritierten Zustand befindet, wird man erst einmal auf Hautpflegemittel verzichten und gegebenenfalls medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Als therapeutische Notmaßnahme werden pharmazeutische Wirkstoffe topisch oder teilweise auch oral eingesetzt. Zum Repertoire gehören:

  • Antihistaminika - bei Allergien
  • Lokalanästhetika - bei Juckreiz und Schmerzen
  • Corticoide - bei Entzündungen
  • Antibiotika - bei Infekten
  • Antiseptika - zur Desinfektion von Wunden
  • Antimykotika - bei Pilzinfektionen
  • Präparate für andere dermale Indikationen

Hat sich die Haut insoweit beruhigt, dass sie trocken und aufnahmefähig ist, kann die Behandlung mit Kosmetika fortgesetzt werden. Dabei haben sich Basiscremes bewährt, die sowohl mit pharmazeutischen als auch kosmetischen Wirkstoffen ausgestattet werden können, sodass der Übergang von der Therapie zur Prävention gleitend erfolgt.
Kosmetische Präparate bieten hinsichtlich der Wirkmechanismen eine erstaunliche Vielfalt an Möglichkeiten zur Reizlinderung. Der Gesetzgeber sieht die Verwendung des Begriffs der Linderung in der Kosmetik allerdings kritisch. Entsprechende Werbung kann zu Abmahnungen führen. Im Einzelnen bieten sich die folgenden Wirkstoffgruppen an:

  • Stoffe, die den transepidermalen Wasserverlust (TEWL) stabilisieren: Zu dieser Gruppe gehören Phytosterine, Ceramide und ähnlich aufgebaute Verbindungen sowie langkettige Fettsäuren. Sie erhalten und regenerieren zusammen mit feuchtigkeitsbindenden Stoffen die Hautbarriere und deren Elastizität und verhindern das (erneute) Eindringen reizender, hautfremder Stoffe und Keime von außen.
  • Stoffe, die die Hautfeuchte erhalten und erhöhen: Aminosäuren, Pyrrolidoncarbonsäure, Glycerin, Harnstoff und Salze binden Wasser. Am besten sind die Aminosäuren des Natural Moisturizing Factor (NMF) geeignet. Sie eliminieren zudem die aus der Umwelt stammenden Sauerstoff- und Stickoxid-Radikale.
  • Adstringierende Stoffe: Tannine, Gallussäurederivate und Teeextrakte ziehen aufgerissene Haut zusammen, indem sie mit Proteinen reagieren und natürliche Polymere bilden. Typisch sind Birken-, Eichenrinde- und Hamamelis-Extrakte.
  • Gelbildende Substanzen: Aloe-, Algen-Extrakte und polymere Kohlenhydrate wie die Hyaluronsäure erzeugen einen reizlindernden Film auf der Haut, der zum Teil auf die Feuchtigkeitsbindung zurückzuführen ist.
  • Essenzielle Fettsäuren wie Linolsäure und alpha- sowie gamma-Linolensäure setzen die Sprödigkeit der Haut herab und werden enzymatisch durch die hauteigene 15-Lipoxygenase zu entzündungshemmenden Metaboliten umgewandelt. Ähnlich wirkt auch das in Zellmembranen enthaltene Phosphatidylcholin mit seinem hohen Linolsäureanteil.
  • Antihistaminische und beruhigende Wirkung haben Avenanthramide, die unter anderem in Haferextrakten vorkommen. Ein synthetischer Vertreter ist das Dihydroavenanthramid D alias 3-(4-Hydroxyphenyl)-propionyl-2-aminobenzoesäure, mit Juckreiz-hemmender Wirkung.
  • Entzündungshemmende Stoffe finden sich in vielen natürlichen Extrakten, z. B. in Auszügen von Calendula, Spitzwegerich, Mahonia, Kamille (Hauptwirkstoff: (-)-α-Bisabolol), Aloe Vera, Weidenrinde, Weidenröschen, Sonnenhut, Ingwer und Arnika. Die Wirkungsmechanismen sind recht unterschiedlich. Bei in-vitro-Tests (Labortests) wurden unter anderem Hemmungen von Interleukin IL-1α, Tumornekrosefaktor TNFα, Cyclooxygenase COX-2 und Prostaglandin PGE2 festgestellt.
  • Radikalfänger und Antioxidantien: UV-Filter wandeln Erythem-auslösende Radikale, die durch die Strahlungsenergie des Sonnenlichts entstehen, in Wärme um. Ein unspezifischer guter Schutz gegen Radikale ist der NMF. Polyphenole aus Extrakten von grünem Tee, rotem Klee, Soja oder Traubenkernen machen ebenfalls exogene und endogene Radikale unschädlich. Die Klassiker sind Vitamin C, Vitamin E und deren Derivate.
  • Proteasehemmer wie Boswelliasäuren (Weihrauch) sind bei hyperaktiven körpereigenen Proteasen und aggressiven Proteasen von Mikroorganismen wirksam. Sie verhindern den Abbau von Proteinstrukturen und hemmen dadurch entstehende Entzündungen.
  • Vitamine wie Vitamin A, Niacinamid (Vitamin B3), D-Panthenol (Provitamin B5) und Vitamin B-haltige Hefeextrakte zeigen bei Irritationen eine ausgeprägte regenerative Wirkung.
  • Juckreiz wird durch Harnstoff (Kohlensäurediamid), Allantoin (cyclisches Amid) und andere organische Säureamide (s. u.) inklusive D-Panthenol gemindert oder unterbunden.
Die aufgeführten reizlindernden Stoffe können auch in Kosmetika mit Irritationspotenzial eingearbeitet werden (Additivprinzip). Rötungen, Juckreiz und Entzündungen werden damit ursächlich auf unterschiedliche Art und Weise gemildert oder beseitigt:
  • Der physikalische Kontakt und die Penetration reizender Stoffe werden erschwert - z. B. durch Filme von Aloe, Polysacchariden und fetten Ölen.
  • Es finden chemische Reaktionen mit den reizenden Stoffen oder den Hautproteinen statt - z. B. mithilfe von Adstringenzien.
  • Die gegebenenfalls vorhandene Histaminwirkung von Naturkosmetik-Komponenten wird unterbunden - z. B. mit Avenanthramiden.
  • Die Irritationswirkung von Kosmetikbestandteilen wird aufgehoben - z. B. durch entzündungshemmende essenzielle Fettsäuren und Extraktbestandteile.
Ganz anders funktionieren die Beeinflussung und die Blockierung der Reizweiterleitung zum Gehirn

Einfluss auf die Reizleitung

Wenn nicht die lokalen Reizursachen, sondern die Weiterleitung von Juckreizen und Schmerzen zum Gehirn manipuliert wird, kommen Warnsignale der Haut nicht mehr im Gehirn an. Additive dieser Art sind in Hautpflegeprodukten nicht ganz unumstritten.

  • Polidocanol (INN) wird im Bereich der Dermatologie bei Juckreiz und Neurodermitis als Lokalanästhetikum eingesetzt und vermindert das Schmerzempfinden der Haut. Die zu den Polyethylenglykolen (PEG) gehörende Substanz ist in der Kosmetik unter dem Namen Laureth-9 (INCI) als Emulgator bekannt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR, 2003) stuft Hautpflegeprodukte mit diesem Inhaltsstoff als gesundheitlich bedenklich ein.
  • Im medizinischen Bereich sind Lokalanästhetika weit verbreitet. Die lokalen Nerven werden betäubt. Mit Ausnahme des Procains, ein Aminobenzoesäureester, handelt es sich dabei hauptsächlich - chemisch betrachtet - um Amide wie Bupivacain, Lidocain, Mepivacain, Ropivacain, Articain, Epinephrin, Prilocain und Takipril. Die darüber hinaus in allen Verbindungen enthaltenen Aminogruppen liegen in den topischen Präparaten als Ammoniumsalze vor.
  • Das synthetische, in der Kosmetik eingesetzte 4-t-Butylcyclohexanol reduziert die Empfindlichkeit sensibler Haut. Die Toleranzgrenze für physikalische und stoffliche (Kosmetika) Reize steigt.
  • Das im menschlichen Körper vorkommende N-Palmitoylethanolamin (PEA) hat eine endocannabinoidartige Wirkung. Das Amid ist Bestandteil des Stratum granulosum und wirkt juckreizhemmend. Die endogenen Cannabinoide kommen im Nervensystem vor und beeinflussen Ionenkanäle und Signalwege.
  • Tetrahydro-6-pentadecyl-2H-pyran-2-on alias Meadowfoam delta-lactone (INCI) kann z. B. zusammen mit oxidativen Haarfärbemitteln appliziert werden und senkt dabei deren irritierende Wirkung.
  • Capsaicin, der schärfebildende Bestandteil der Chilis und Peperoni bindet an den Vanilloidrezeptor 1 der Nervenfasern und unterdrückt so nach temporärem Wärmeempfinden den Juckreiz auf der Haut.

Dr. Hans Lautenschläger

 


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veröffentlicht in
Kosmetik International
2017 (1), 114-116

 
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